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Herausforderungen und Reaktionen

Gregor Gysi: Die Abrechnung mit Sahra Wagenknecht

Lange Zeit hatte sich Linken-Ikone Gregor Gysi bemüht, die  zerstrittene Partei zusammenzuhalten. Jetzt geht auch er auf Distanz zu der langjährigen Partei-Rebellin Sahra Wagenknecht  – und macht ihr hier, nachdem die Spaltung nun entschieden ist, schwere Vorwürfe.

Sahra Wagenknechts Austritt von Die Linke

Sahra Wagenknecht hat ihren lang angekündigten Schritt nun wahr gemacht und gemeinsam mit neun weiteren Bundestagsabgeordneten. Die Linke verlassen, um eine neue Partei zu gründen. Politisch hat sie der Linken alles zu verdanken. Die Parteimitglieder haben für sie Wahlkampf gemacht, die Partei hat die Wahlkämpfe finanziert und es ihr so ermöglicht, Europa- und Bundestagsabgeordnete zu werden. Die Bundestagsfraktion wählte sie 2015 neben Dietmar Bartsch zur Fraktionsvorsitzenden. All dies hinderte sie nicht daran, beginnend mit dem damaligen Projekt „Aufstehen“ seit 2018 gegen Die Linke zu arbeiten. 2021 ließ sie in ihrem vor der Wahl erschienenen Buch kein gutes Haar an der Partei, für die sie kandidierte, und rief gemeinsam mit ihrem Ehemann dazu auf, im Saarland Die Linke bei der Bundestagswahl nicht zu wählen. Bekanntlich blieb die Partei unter 5 Prozent.

Dennoch ist es für uns wichtig, die Fehler zuerst bei uns selbst zu suchen. Vor dem Hintergrund der Veränderung in der Mitgliederstruktur, die zu einer deutlichen Verjüngung und einem größeren Anteil an Mitgliedern im Westen führte, wurde in den innerparteilichen Diskussions- und Entscheidungsprozessen zu wenig Austausch zwischen Alt und Jung und zwischen Ost und West organisiert. Eine plurale Partei verträgt keine Dominanz einzelner Flügel.

Wenn man unzufrieden ist, muss man sich in der Partei selbst mühen und nicht austreten.

Gregor Gysi

Fokusverschiebung und die Bedeutung des Ostens

Nicht so sehr programmatisch-inhaltlich, aber desto mehr in der Kommunikation nach außen verschob sich der Fokus der Interessenvertretung durch Die Linke in Richtung der Empfängerinnen und Empfänger von Arbeitslosengeld, Bürgergeld und Geflüchtete. Selbstverständlich ist Die Linke die erste Adresse in der Unterstützung sozial Benachteiligter, aber dennoch muss dafür gesorgt werden, dass die Interessen der lohnabhängig Beschäftigten, der Angestellten, der freiberuflich Tätigen und Solo-Selbstständigen im Vordergrund stehen. Die Linke muss vor allem Arbeiterpartei bleiben und wieder werden.

Die Erfolgsgeschichte der Linken nach der Vereinigung der PDS mit der WASG hatte eine Schattenseite: Schritt für Schritt wurde der Osten nicht mehr als besondere Herausforderung und Aufgabe empfunden, sodass letztlich die wichtigste Basis dafür, dass es im vereinten Deutschland überhaupt eine demokratisch akzeptierte Partei links von der Sozialdemokratie gibt, vernachlässigt wurde. Dieser Fehler hat sich über Jahre potenziert, obwohl inzwischen mit der Korrektur begonnen wurde, was aber nicht von heute auf morgen Wirkung zeigt. Die nach wie vor große Bedeutung des Ostens für Die Linke wird auch daran deutlich, dass alle Abgeordneten, die nun aus der Partei ausgetreten sind, aus dem Westen kommen. Sahra Wagenknecht ist die Einzige, die im Osten geboren wurde, aber ihre politische Heimat längst im Westen gefunden hat.

Politisch hat sie der Linken alles zu verdanken (…) das hinderte  sie nicht, (…) seit 2018 gegen Die Linke zu arbeiten.

Gregor Gysi

Warum der Austritt aus der Linken keine Lösung ist

Diese und andere Entwicklungen in der Linken sind aber kein Grund, die Partei zu verlassen. Wenn man mit der Parteiführung, ihren Beschlüssen und Beschlüssen eines Parteitages unzufrieden ist, muss man sich in der Partei selbst mühen, Veränderungen zu erreichen – und nicht austreten und eine neue Partei gründen. Es ist mühsam, die Partei zu bereisen, aber es wäre der einzig richtige und vernünftige Weg gewesen. Dies umso mehr, da die zehn MdB ausschließlich drei Personen zu verdanken haben, in den Bundestag eingezogen zu sein. Hätten Gesine Lötzsch, Sören Pellmann und ich nicht die Direktmandate gewonnen, säße kein anderer Abgeordneter der Linken im Bundestag. Wenn das so ist, darf man die Drei nicht im Stich lassen und einfach die Mandate für eine neue Partei mitnehmen. Die Behauptung, man sei dazu berechtigt, weil Die Linke 2021 auch wegen Sahra Wagenknecht gewählt worden sei, soll lediglich kaschieren, worum es eigentlich geht: Monat für Monat erhalten diese zehn Abgeordneten 250000 Euro an Steuermitteln, um mit genügend Personal den Aufbau der neuen Partei vorantreiben zu können. Und hinzukommt, dass keine und keiner von ihnen auf die monatlichen 15000 Euro an Diäten und steuerfreier Aufwandspauschale verzichten will.

Im Übrigen darf man Sahra Wagenknechts Behauptung über ihren Beitrag zum Ergebnis der letzten Bundestagswahl 2021 auch mehr als anzweifeln. Die Verluste der Linken bei ihren Stimmenanteilen in NRW, wo sie Spitzenkandidatin war, fielen höher aus als im Bundesdurchschnitt, als im Osten und auch als in Hessen und weiteren westlichen Bundesländern.

Die Glaubwürdigkeit der neuen Partei ist schon erschüttert, bevor es sie überhaupt gibt.

Gregor Gysi

Diskussion um neue Partei mit unterschiedlichen Positionen und Fragen zur Glaubwürdigkeit

Natürlich darf man sich trotzdem entscheiden, eine neue Partei zu gründen. Ob eine Partei, die eine Flüchtlingspolitik wie die AfD, eine Wirtschaftspolitik wie Ludwig Erhard und eine Sozialpolitik ähnlich der Linken machen will, am Ende erfolgreich sein wird, ist mehr als offen. Die Hoffnung auf eine Addition von Wahlstimmen mit diesen verschiedenen, zum Teil gegensätzlichen Positionen, mag am Anfang vielleicht aufgehen, aber schon 2025 bei der Bundestagswahl kann das Ganze in einer Subtraktion der Stimmen enden.

Die Glaubwürdigkeit der neuen Partei ist schon schwer erschüttert, bevor es sie überhaupt gibt. Es wäre ehrlich gewesen, mit einer neuen Partei von außen zu starten. Legten die Zehn ihr Mandat nieder, zögen zehn andere Linke ein, die Fraktion bliebe bestehen und müsste aus diesem Grund keine Fraktionsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter entlassen. Wenn man aber mit einem derart unmoralischen „Diebstahl“ beginnt, steht ein solches Projekt von Anfang an unter keinem guten Stern. Wer behauptet, mit seiner neuen Partei mehr als Die Linke für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tun zu wollen und als Erstes auch aus eigenem Geldstreben dafür sorgt, dass Menschen in der Fraktion, die zur Linken stehen, ihretwegen den Job verlieren, ist schlicht unehrlich.

Ehrlich währt am längsten, sagt der Volksmund. Er wird auch diesmal recht behalten. 

Die vielen Fragen um die Wagenknecht-Partei

Von Gerald Praschl

Zunächst gelang ihr ein fulminanter Start. Laut Umfragen könne sie aus dem Stand weit vorne mitspielen. Absehbar ist aber jetzt, dass die neue Truppe auch Sprengpotenzial birgt. Das Programm und das Personal sind widersprüchlich

Dass Linken-Ikone Gregor Gysi sauer auf Sahra Wagenknecht ist, wäre nicht weiter verwunderlich. Doch was er ihr hier in seinem Gastbeitrag in SuperIllu hinterherwirft (siehe oben), hat es trotzdem in sich. Gysi kritisiert, dass Wagenknecht, genau wie die anderen neun Linken-MdBs, die mit ihr zusammen das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ gründen wollen, ihre auf linken Landeslisten errungenen Bundestagsmandate mitnehmen wollen. Das sei Diebstahl, so Gysi. Die dazugehörigen „Diäten“, Mitarbeiter-, Spesen- und Büropauschalen, zusammen rund 25000 Euro pro Mandat und Monat, wird Sahra Wagenknecht für den Aufbau der neuen Partei BSW gut brauchen können. Denn Mitglieder und damit Mitgliedsbeiträge hat die neue Truppe zunächst keine. Wagenknechts Schatzmeister Ralf Suikat, 58, ein ehemaliger Unternehmer, dürfte einen schweren Job haben, Geld heranzuschaffen. Seine eigene Person wirft ebenfalls Fragen auf. Er rühmt sich, mit seinem als Software-Unternehmer erworbenen Vermögen „Impact Investment“ zu betreiben. Ist sein Engagement bei der Wagenknecht-Partei vielleicht auch ein Investment in eine gute Geschäftsidee mit „Businessplan“ und „Shareholder Value“?

Insgesamt wirkt das Parteiprogramm, dass Sahra Wagenknecht vergangene Woche in Berlin vorstellte, ein wenig so, als hätten es nicht gradlinige Politiker auf der Basis ihrer Überzeugungen, sondern windschnittige Marktforscher auf der Basis von Meinungsumfragen entworfen. Für jeden ist etwas dabei, einzelne Inhalte widersprechen sich. Unternehmern verspricht sie „eine starke, innovative Wirtschaft, die der Staat mit billiger Energie“ und Fachkräften versorgt. Arbeitnehmern gelobt sie, sich gegen „gesellschaftliche Ungleichheit“ einzusetzen, Anwältin der „kleinen Leute“ zu sein. Bürgerliche Wähler aus dem Mittelstand dagegen lockt sie mit dem Bekenntnis, Kommunistin (so wie früher als Chefin der „Kommunistischen Plattform“ in der PDS) sei sie schon lange nicht mehr. Ihr Spruch aus ihrem Interview mit SuperIllu könnte auch aus einem CDU- oder SPD-Parteiprogramm stammen: „Mein Ziel ist eine faire Leistungsgesellschaft mit echter Chancengleichheit und einem hohen Grad an sozialer Sicherheit“.

Auch bei der Russlandfrage zeigt sich Sahra Wagenknecht erstaunlich moderat. Sie will offenbar auch für die Menschen wählbar sein, die auf klare Kante gegenüber dem Moskauer Angriffskrieg auf die Ukraine setzen. Dass am Ende des aktuellen Krieges ein diplomatischer Kompromiss stehen muss, so wie Sahra Wagenknecht das im Interview mit SuperIllu forderte, würden so ähnlich auch die meisten Diplomaten und Politiker der NATO-Staaten so sehen. Selbst der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenski dürfte sicher nicht davon träumen, dass der Krieg mit Putin mit einem fulminanten Sieg der Ukraine in den Straßen Moskaus zu Ende geht. Umstritten ist eigentlich nur, wie lange der Krieg noch durchhaltbar ist - was vor allem die Ukrainer entscheiden müssen, auf deren Gebiet er wütet. Und ob Putin irgendwann Verhandlungsbereitschaft zeigt - was aktuell überhaupt nicht der Fall ist. Sahra Wagenknechts Aussagen dazu sind also einfach nur nichtssagend und hohl.

Ihre Meinungen stehen auch im völligen Gegensatz dazu, dass sie mit dem bisherigen Linken-Politiker Andrej Hunko, 60, einen ausgesprochenen Putin-Propagandisten von Anfang an in ihre Reihen aufnimmt, der die westlichen Sanktionen als „Wirtschaftskrieg gegen Russland“ sieht und für Hilfslieferungen und einen Besuch in Putins Donbass-„Republiken“ auch innerhalb der Linkspartei heftige Kritik erntete. In ein ähnliches Horn stießt und stößt auch die Linken-Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen, 48, die ebenfalls zur Wagenknecht-Partei wechselt.

Dagdelen kommt wie alle anderen neun Linken-Überläufer zu Wagenknecht aus dem Westen; vielen Ost-Genossen galt sie (wie die westdeutschen Landesverbände der Linken insgesamt) immer als zu links außen. Auch das kritisiert Gysi in seinem Gast-Beitrag. Eine „Ost-Partei“, wie das Die Linke (wenn auch nicht nur) bisher war, wird die Wagenknecht-Partei also sicher nicht.