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© Yorck Maecke | SuperIllu
Politik-Interview

"Heißer Herbst"-Demo in Leipzig: Gregor Gysi antwortet auf Vorwürfe

Bei ihrem „Heißen Herbst gegen soziale Kälte“ setzt die Linkspartei auf ähnliche – wenn auch nicht gleiche – Forderungen wie AfD oder „Freie Sachsen“. Dafür erntet sie Kritik, wie auch für eine Demo in Leipzig, bei der Gregor Gysi sprach. Was dort geschah und was der Linken-Politiker zu den Vorwürfen sagt.

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Der Ex-AfD-Politiker André Poggenburg bei der zeitgleichen Demo der rechtsextremen „Freien Sachsen“ – ebenfalls am Leipziger Augustusplatz

Die Doppel-Demo von Leipzig

Bilder von den zeitgleichen Demos der Linkspartei und der rechtsextremen Partei „Freie Sachsen“ am 5. September 2022 in Leipzig. Ein Redner der rechten Demo rief den Linken auf der andere Seite des Augustusplatzes zu: „Proletarier und Nationalisten, vereinigt euch.“ Bei der Linken-Demo sprach u.a. Gregor Gysi, der sich von dieser Vereinnahmung distanzierte. Wörtlich sagte er: „Mit diesem rechten Gesockse haben wir nichts zu tun, sie sind unerträglich und unannehmbar.“ Inhaltlich gab es dagegen durchaus Überschneidungen. So wurde bei beiden Demonstrationen auf Transparenten die Öffnung der „Nord Stream 2“-Pipeline gefordert - inhaltlich absurd, weil sie mangels russischer Gaslieferungen aktuell völlig nutzlos wäre. Auch die Forderung nach einem Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine und der Sanktionen gegen Russland bewegte viele Teilnehmer beider Demos

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Linken-Demo auf dem Leipziger Augustusplatz am 05. September 2022.

Herr Gysi, der „Heiße Herbst“, mit dem die Linkspartei gegen die hohen Energiepreise protestieren und mehr soziale Maßnahmen dagegen fordern will, sorgte gleich zum Auftakt für einen Eklat. Zeitgleich mit der Demo der Linken am 5. September 2022 auf dem Leipziger Augustusplatz rief auch die vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestufte Partei „Freie Sachsen“ zu einer Demo zum selben Thema auf - am selben Ort. Viele Transparente von Teilnehmern glichen sich. Geht die Linke jetzt auf Kuschelkurs mit den Rechten?

Die Straßen und Plätze in Deutschland gehören nicht den Rechten, sondern allen Bürgerinnen und Bürgern. Dass in Leipzig direkt neben unserer Demo die Rechtsextremen zu einer Demo aufriefen, war nicht unser Wille, im Gegenteil. Normalerweise hätten die Behörden darauf zu achten, dass so etwas nicht so direkt aneinanderstößt. Zum Zweiten haben die „Freien Sachsen“ in ihren Demoaufrufen auch noch suggeriert, wir träten da zusammen auf, eine Unverschämtheit. Das habe ich ihnen über meinen Rechtsanwalt verbieten lassen. Wir haben bei unserer Demo außerdem auch darauf geachtet, dass dort keine rechten Parolen geschwungen oder gezeigt werden. Wir haben dort das Hausrecht. Unsere Ordner haben solche Menschen gebeten, die Kundgebung zu verlassen.

Für Aufsehen sorgt auch, das die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht von Anhängern der „Freien Sachsen“ und der AfD gefeiert wird. Eigentlich kein Wunder: Ob bei der Flüchtlingspolitik, bei Corona oder jetzt in Sachen Gaskrise und Putin gleichen sich die politischen Positionen von Sahra Wagenknecht und Rechtsaußen-Populisten sehr stark. Hat sie in der Linkspartei noch einen Platz?

Ich bin gegen Parteiausschlüsse. Sahra Wagenknecht ist für unsere Partei wichtig. Es darf in unserer Partei gerne unterschiedliche Positionen geben. Nur muss deutlich werden, was die Mehrheits- und was die Minderheitsmeinung ist. Sie vertritt hier eine ausgesprochene Minderheitenposition innerhalb der Linken. Dass Sahra für ihre Aussagen so viel Beifall von Rechtsaußen bekommt, darüber sollte sie nachdenken.

Dass Sahra so viel Beifall von Rechtsaußen bekommt, darüber sollte sie nachdenken.

Gregor Gysi
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Die Bundesregierung hat wenige Tage vor Beginn Ihrer Kampagne ein drittes Hilfspaket beschlossen, um die Folgen der Energie- und Inflationskrise zu mildern. Muss man da noch zu einem „Heißen Herbst“ auf die Straße? Hat sich der Zweck Ihrer Demos nicht damit erledigt?

Nein, der hat sich nicht erledigt, denn auch beim nunmehr schon dritten Hilfspaket wurden viele Betroffene, die unter den Preissteigerungen bei Energie und Lebensmitteln leiden, schlichtweg vergessen. Zum Beispiel Menschen, die in privater Insolvenz leben. Die haben einen Freibetrag von 1400 Euro. Wenn sie nun aus diesem Hilfspaket einen Zuschlag bekommen, um ihre Gas- oder Stromrechnung bezahlen zu können, dürfen sie diesen gar nicht behalten, sondern müssen ihn beim Insolvenzverwalter abliefern. Die Rentnerinnen und Rentner wurden beim letzten Hilfspaket komplett vergessen, nun sollen sie zum Jahresende einen Einmalbetrag bekommen. Aber die hohen Energiekosten gehen ja weiter. Hier muss also mehr geschehen. Nicht nur beim Strom, sondern auch beim Gas muss es einen Festpreis geben, der für alle bezahlbar ist. Wir dürfen neben den sozial Schwachen auch die Menschen mit mittleren Einkommen nicht vergessen. Auch für die muss mehr getan werden. Dass Deutschland jetzt die üppigen Milliarden-Gewinne, die viele Energiekonzerne mit der Preisexplosion machen, mit einer Zufallsgewinnsteuer belegen will, ist positiv. Aber wie ist es mit den Milliarden, die die Rüstungsindustrie jetzt mit dem Krieg in der Ukraine verdient?

Von dem Verursacher dieser Energiekrise ist in Ihrem Demoaufruf gar nicht die Rede: der russische Präsident Wladimir Putin, der Deutschland den Gashahn abgedreht hat…

Ich verurteile Putins Krieg nach wie vor scharf, das ist doch keine Frage. Die Nato und die EU haben zwar meiner Einschätzung nach in Sachen Russland und Ukraine so ziemlich alles falsch gemacht, was man falsch machen kann, das rechtfertigt das, was Putin macht, aber nicht. Sein völkerrechtswidriger Krieg ist durch nichts zu rechtfertigen. Ich befürworte, wie auch die breite Mehrheit meiner Partei, die Sanktionen, die sich gegen die russische Obrigkeit richten, gegen die Kremlführung, gegen die Oligarchen. Aber nicht die Sanktionen, die sich gegen das russische Volk richten. Es kann nicht unser Ziel sein, dass es total verarmt. Die Hoffnung, dass sie sich, wenn es ihnen schlecht geht, gegen Putin stellen, ist naiv. Sie werden sich im Gegenteil deswegen eher mit ihm solidarisieren.

Nicht nur beim Strom, auch beim Gas muss es einen Festpreis geben, der bezahlbar ist.

Gregor Gysi

Damit stellen Sie aber immer noch nicht deutlich klar, dass deshalb kein Gas mehr durch die Pipeline kommt, weil Putin den Gashahn abgedreht hat - und nicht, weil Sanktionen das verhindern würden. Genau deshalb wurden der russische Gazprom-Konzern, seine Manager und die Gazprombank, über die die Zahlungen laufen, ja von den Sanktionen ausgenommen. Redner der rechten „Freien Sachsen“ haben diesen Sachverhalt bei deren Demo in Leipzig bewusst falsch dargestellt. Sie haben es als Redner bei der zeitgleichen Demo der Linken in Leipzig zumindest gar nicht angesprochen und damit die Fakten ebenfalls im Nebel gelassen…

Natürlich ist der Gasstopp eine Folge der Sanktionen. Wir wollen Putin wirtschaftlich mit den Sanktionen in die Ecke treiben. Und er versucht, uns als Reaktion darauf mit dem Gasstopp zu schaden. Damit konnte man rechnen. Es war doch klar, dass er Gegenmaßnahmen ergreifen würde. Wer das nicht mit einkalkuliert hat, war zumindest naiv.

Was wir jetzt brauchen, ist so schnell wie möglich eine diplomatische Lösung.

Gregor Gysi

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) sieht das anders. Er meinte im Interview mit SuperIllu, mit dem Gasstopp wolle Putin Deutschland erpressen, die Waffenlieferungen an die Ukraine einzustellen. Demzufolge wären die Linke dann ja voll auf Kreml-Linie. Denn genau wie AfD oder „Freie Sachsen“ lehnen Sie deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine ab. Warum?

Die Ukraine ist Opfer eines Angriffskrieg und hat das Recht, sich zu verteidigen. Andere Länder können deshalb Waffen dorthin liefern. Aber es ist falsch, dass wir Deutschen Waffen an die Ukraine liefern. Ich finde es deshalb falsch, weil wir nach dem Zweiten Weltkrieg mit 50 Millionen Toten nie mehr an Krieg verdienen dürften. Wir sind aber der fünftgrößte Waffenexporteur der Welt, wir verdienen an jedem Krieg, egal ob er in Mali, Libyen, in Syrien oder dem Jemen stattfindet. Alle 14 Minuten stirbt ein Mensch auf der Welt durch eine deutsche Waffe. Das muss nicht auch noch in der Ukraine der Fall sein. Deutschland sollte stattdessen humanitäre Hilfe an die Ukraine liefern – aber keine Waffen. Was bisher schon gelungen ist, ist, dass Putin klar geworden sein dürfte, dass dieser Krieg nicht so läuft, wie er sich das vorgestellt hat. Was wir jetzt brauchen, ist so schnell wie möglich eine diplomatische Lösung. Wie diese aussehen kann, müssten die Ukraine und Russland entscheiden. Nicht Erdogan, sondern Scholz sollte der Vermittler sein.

Fakten-Check

Gysis Aussage, „Alle 14 Minuten stirbt ein Mensch durch eine deutsche Waffe“ stimmt so nicht ganz. Der Vorwurf stammt von Albrecht Recknagel von der Hilfsorganisation „Terre de Hommes“. Dieser wirft Heckler&Koch vor, dass das von dieser deutschen Firma entwickelte Sturmgewehr G3 jährlich weltweit 3 700 Tote fordere, also etwa alle 14 Minuten ein Opfer. Die meisten der in 80 Ländern kursierenden 10 Millionen G3-Gewehre wurden aber nicht in Deutschland produziert. Grund: Von 1961 bis 1981 vergab Heckler & Koch Lizenzproduktionen an 15 Länder, u. a. an Burma und Saudi-Arabien.

„Tödlichste Waffe der Welt“ ist die in der Sowjetunion entwickelte AK-47 „Kalaschnikow“. Jährlich sterben dadurch eine Viertelmillion Menschen. Gysis Aussage, Deutschland sei fünftgrößter Waffenexporteur der Welt, ist zwar richtig. Ein wichtiger Wirtschaftszweig sind Rüstungsexporte aber nicht. Sie machen nur ein Prozent aller Exporte aus, ein Großteil geht in Nato-Länder. Größte Exporteure sind die USA (Weltmarktanteil 37 %) und Russland (20 %), deren Waffen anders als die deutschen in den von Gysi erwähnten Kriegen eine große Rolle spielen.