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© Uwe Toelle | SuperIllu
Interview

Kristina Vogel: Zeit für ein neues Kapitel

Zwei Olympiasiege und elf WM-Titel hat die Bahnradsportlerin in ihrer Karriere eingefahren. Bei einem Unfall erlitt sie eine Querschnittslähmung. Doch sie erkämpfte sich schnell einen neuen Alltag und wurde zu einem Vorbild für viele.

Von Christiane Fenske und Katharina Schnurr

Kristina Vogel war einst die erfolgreichste Bahnradsportlerin der Welt, bis ein unverschuldeter Trainingsunfall 2018 ihre Karriere jäh beendete. Seitdem hat sie sich in vielen Rollen bewiesen. SuperIllu traf die 33-jährige Thüringerin, um mit ihr über ihr Leben zu sprechen.

© Laurin Schmid | BMI | Bundesfoto
„Sport lehrt Fairness und Respekt. Sportler sind Vorbilder“, so Kristina Vogel in ihrer Dankesrede

Kristina, wie haben Sie die Jahre seit Ihrem Unfall erlebt?

Ich schwanke zwischen Wimpernschlag und sechs Jahre. Einerseits fühlt es sich an, als wäre der Unfall gestern gewesen, andererseits ist viel passiert. Ich bin sehr faktenorientiert und habe mich dem neuen Leben schnell angepasst.

Wie haben Sie sich in dieser prägenden Zeit verändert?

Beim Unfall war ich 27. Er hat mich krass erwachsen gemacht. Trotzdem bin ich noch ich, irgendwie auch die kleine Kristina. Aber ich musste lernen, Ansagen zu machen, darüber, was ich brauche, musste mich strukturieren. Das gehört wohl zum Erwachsenwerden dazu.
Am 7. März wurde Kristina Vogel nach 2012 und 2016 zum 3. Mal mit dem Silbernen Lorbeerblatt geehrt. Die höchste nationale Auszeichnung für Erfolge im Sport setzt auch eine charakterlich vorbildliche Haltung voraus, heißt es in der Begründung.

Was bedeutet Ihnen die dritte Auszeichnung mit dem Silbernen Lorbeerblatt?

Ich wollte immer drei. Hätte ich planmäßig in Tokio 2021 olympisches Gold geholt, hätte ich es wohl damals schon bekommen. Es kam anders, deshalb hat mich die Auszeichnung überrascht und sehr sehr gefreut. Es ist eine riesengroße Ehre. Mit mir wurden 70 Spitzensportler geehrt und ich durfte im Bundesinnenministerium die von mir geschriebene Dankesrede halten.

Bei der Inklusion hinkt Deutschland hinterher. Barrierefreiheit sollte überall verpflichtend sein.

Kristina Vogel
© ZUMA Press | imago images
Im März 2018 bei der WM in Apeldoorn. Im Juni 2018 verunglückte sie beim Training in Cottbus.

Sie scheinen heute bekannter zu sein als zu besten Bahnrad-Zeiten. Wie entscheiden Sie, welche Projekte Sie annehmen?

Aus dem Bauch heraus, danach, ob es sich richtig anfühlt. Oft frage ich mich, wenn ich es nicht mache, wer dann? Ich weiß, dass ich bei vielen Projekten die Quotenbehinderte bin, so wie es die Quotenfrau oder Quoten-Person of Colour gibt. Klingt hart, ist aber so. Ich werde nicht mehr nur als die Sportlerin wahrgenommen, die mal einen Unfall hatte. Ich bin bereit, viel mitzumachen, auch weil Firmen und Institutionen lernen müssen, dass wir inklusiv leben müssen. Da sind wir 2024 noch weit von entfernt.

Bis 2023 haben Sie sich drei Jahre als Stadträtin in Erfurt u.a. für Barrierefreiheit engagiert. Wie ist Ihre Bilanz?

In dieser Zeit habe ich gesehen, dass manche Prozesse einfach Zeit brauchen. Es ist in der Demokratie wichtig, dass wir uns gegenseitig anhören. Ich habe gelernt, dass die auf demokratischem Wege gefundene Lösung nicht immer die perfekteste ist. Aber es ist eben die beste für alle. Es ist auch mal schmerzlich, festzustellen, dass die eigene Idee nicht die beste für alle ist…
Ich denke, dass wir so ein fortschrittliches, reiches Land sind. Wir bilden uns ein, viele Dinge sehr, sehr gut zu können, doch bei der Inklusion und Diversität hinken wir hinterher. Das ginge schneller und deutlich besser.

© Uwe Toelle | SuperIllu
Das Foto entstand im Schlosspark Pankow in Berlin. Der Weg dahin führte über unwegsames Kopfsteinpflaster. Das hatten die Reporterinnen nicht bedacht.

Läuft es denn in anderen Ländern besser?

Ja und nein. Ich war über Silvester in New York, zum ersten Mal in den USA seit ich im Rollstuhl sitze. Das war krass! Ich habe mich in meinem querschnittsgelähmten Leben noch nie so willkommen gefühlt. Ich wurde in jedem Restaurant gefragt, ob der Platz für mich okay ist, egal ob Kneipe oder schicker Laden. Man fragte mich, nicht jemanden aus der Gruppe, wie das hier üblich ist. Ich musste mir um WCs keine Sorgen machen, nicht um Bus oder U-Bahn, auch wenn das System alt ist. Das ist hier nicht der Fall.

Was ließe sich denn leicht ändern?

Nehmen wir das Beispiel Behindertenparkplätze. ‚Ich steh’ nur kurz hier‘ - das höre ich ständig. Mein Geduldsfaden ist längst gerissen. Ich kann natürlich Freunde und Familie dafür sensibilisieren. Aber ich sehe auch die Politik in der Verantwortung. Es darf nicht nur 30 Euro kosten, wenn man widerrechtlich darauf parkt. Es muss 100 Euro kosten. Manchmal muss man Menschen mit Geld erziehen.

Die Bundespolizeibeamtin schließt gerade ihr Studium ab, veröffentlicht im Juni ein Kinderbuch, ist TV-Sportkommentatorin und mit 104000 Followern auf Instagram eine sogenannte Influencerin.

© Uwe Toelle | SuperIllu
SuperIllu traf sich mit Kristina Vogel, 33, Anfang März in einem Café in Berlin-Pankow

Gab es die Idee, nach dem Unfall als Para Sportlerin zurückzukehren?

Nein. Das Leben nach dem Sport hätte so oder so irgendwann begonnen. Es gibt auch keinen Sport, den ich so cool finde wie Bahnrad. Außerdem wusste ich, was es kostet, erfolgreich zu sein. 2018 war ich die weltbeste Bahnradsportlerin. Aber ich war mental ein Wrack, weil ich so unter Druck stand, im Hamsterrad war. Über Siege konnte ich mich nicht mehr so freuen, weil die Angst aufkam, alles zu verlieren, wenn ich mal nicht siegen würde. Jeder Zentimeter auf der Radrennbahn ist sehr, sehr harte Arbeit, ich musste zeigen, dass ich keine Eintagsfliege bin. Auch für das Team lag viel auf meinen Schultern und das über Jahre. Das ist nicht gesund. Hätte ich wieder Sport gemacht, hätte man Gold erwartet. Warum soll ich mich dem aussetzen?

Bringen Sie es dem Sportnachwuchs anders bei?

Ja. Leistungssport heißt, Druck auszuhalten, das rede ich nicht klein. Aber wenn ich merke, die Athletin macht sich mental kaputt, überlege ich, was ich ihr mitgeben kann. Sportler sollen lernen, damit umzugehen.

In Ihrer Bachelorarbeit, die Sie gerade schreiben, geht es um Taktiken im Bahnradsport. Sehen Sie sich in fünf Jahren als Trainerin? Oder was planen Sie?

Ach, das weiß ich gar nicht und das finde ich schön. Als Sportlerin war ich krass getrieben, alles musste sich dem Sport unterordnen. Zum ersten Mal im Leben weiß ich nicht, was kommt. Und das ist okay. Mein Lebensgefährte Michael und ich sind gerade erst nach Brandenburg gezogen. Es macht mir Spaß, Neues kennenzulernen. Natürlich war der Abschied aus Thüringen schmerzhaft, weil er sinnbildlich das Ende meines „gehenden Lebens“ markiert. Wir hatten in Erfurt unser Traumhaus gebaut, nun bauen wir in Brandenburg ein neues. Weil es auf der Baustelle viel Ärger gibt, ist das neue Kapitel noch nicht ganz aufgeschlagen. Insofern hoffe ich einfach, dass ich in fünf Jahren auf meiner Terrasse sitzen kann.