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© Yorck Maecke | SuperIllu
Interview mit Die Linke-Co-Vorsitzendem

Martin Schirdewan: Die Zukunft von Die Linke

Neben der Westdeutschen Janine Wissler ist der Ostberliner Martin Schirdewan seit Juni 2022 neuer Co-Vorsitzender der Links-Partei. Im Interview mit SuperIllu erklärt er, wie er auf die Krise seiner Partei blickt und wie er sie lösen will.

Herr Schirdewan, anders als Gysi, der ihre Partei gut 25 Jahre lang als Frontmann führte, sind Sie ein DDR-“Nachgeborener“. Wenigstens fast: Als die Mauer fiel, waren Sie 14. Wie haben Sie das erlebt?

Es war für mich der Moment meiner Politisierung. Alles ging auf einmal drunter und drüber, alle Gewissheiten, mit denen ich als Kind groß wurde, brachen zusammen. Die DDR löste sich in atemberaubendem Tempo auf, in einen Zustand der Anarchie, in der für viele die Freude über gewonnene Freiheiten schnell in Frust und Furcht vor Existenzverlust überging. Bei uns in der Schule gabs auch einen kleinen „revolutionären Akt“, an dem ich beteiligt war. Wir gingen zum Direktor und versuchten ihm beizubringen, dass wir in „Staatsbürgerkunde“ nicht mehr die alten Parolen hören wollen, sondern in der Zeit lieber über die aktuellen Veränderungen diskutieren wollen. Das Unterrichtsfach verschwand dann sofort aus unserem Stundenplan.

Was hat Sie nach 1990 als Jugendlicher an der PDS angezogen? Das war damals ja alles andere als „Jugend-Mode“?

Ich habe anfangs Abstand gehalten. Aber die Benachteiligung und Abwertung der Ostdeutschen nach der Wende hat mich empört. Ebenso schockierten mich die rechtsextremen Ausschreitungen wie in Rostock-Lichtenhagen oder Hoyerswerda – das Entstehen eines Neofaschismus, den ich vorher so nicht kannte. Das fand ich, aus einer antifaschistischen Familie kommend – mein Großvater saß unter den Nazis elf Jahre im KZ –, unerträglich. Die Gespräche mit ihm und meiner Großmutter haben mich sehr geprägt. Das hat mich dazu gebracht, mich für eine gerechtere Gesellschaft zu engagieren.

Sie hatten einen prominenten Großvater: Karl Schirdewan (1907-1998). Als SED-Politbüromitglied war er in den 1950ern einer der mächtigsten Männer der DDR. Bis er sich mit SED-Chef Walter Ulbricht anlegte. Weil er eine „Entstalinisierung“ forderte, wurde er 1958 gestürzt...

Die DDR hat von Anfang an viele Fehler gemacht, die später nicht mehr zu korrigieren waren. Der Aufstand am 17. Juni 1953 ist schon Ausdruck gewesen, dass in der DDR die Dinge nicht so waren, wie sie hätten sein sollen. Rebelliert haben auch viel Arbeiter, deren Lebens- und Arbeitsbedingungen nicht so waren, wie die Partei versprach. Es fehlte vor allem an Demokratie. Menschen mit Weitblick wussten auch damals, dass das kein Dauerzustand sein kann. Dass es eine Demokratisierung geben muss. Und eine Überwindung der deutschen Teilung. Dafür hat sich mein Großvater eingesetzt. Das ist sein Vermächtnis, auch für mich, bis heute.

Wir haben nicht mehr 1990, sondern 2023. Reiner Protest ist nicht mehr das Richtige.

Martin Schirdewan

Als Staatspartei ist die SED gescheitert. Als Protestpartei PDS feierte sie dank Gregor Gysi eine Wiedergeburt. Den Status scheint sie verloren zu haben. Wir retten Sie Gysis Lebenswerk?

Gregor Gysi hat unglaubliche Verdienste um unsere Partei wie um die Vertretung all derjenigen, die in diesem Land zu wenig gehört werden. Das setzen wir fort. Denn wir sind heute nicht nur Opposition, sondern wir haben vor allem im Osten an vielen Stellen Regierungsverantwortung übernommen. In vier Bundesländern regieren wir mit. Auch in vielen Kommunen und Kreisen tragen Linken-Politiker Verantwortung. Da ist man natürlich in einer anderen Situation, muss auch manchen vielleicht nicht ganz so populären Kompromiss mittragen. Das ist aber auch gut. Wir wollen ja konkret etwas für die Menschen erreichen. Wir haben auch nicht mehr 1990, sondern 2023. Reiner Protest ist nicht mehr das Richtige. Es geht angesichts der vielen Krisen heute darum, den Wandel gerecht zu gestalten - dafür braucht es Protest, Visionen und Bereitschaft zum Machen.

Ist diese vergleichsweise pragmatische Einstellung der Grund, warum die AfD Ihnen als Protestpartei viele Stimmen weggenommen hat - vor allem im Osten?

Es gibt einen massiven Vertrauensverlust in die Demokratie in Ost wie West, das ist hochgefährlich. Da wird auch unter dem Eindruck von Fake News aus Wut über einzelne Entscheidungen Hass auf „das System“. Dabei kann ich manche Proteste, manche Wut gut verstehen - seit Jahren lässt die Regierung zu, dass die Armut wächst und unsere öffentliche Infrastruktur zerfällt, während die Gewinne vieler Konzerne explodieren. Das Öl-Embargo gefährdet beim PCK in Schwedt und anderswo Tausende Arbeitsplätze, zugleich hat die Bundesregierung immer noch keinen belastbaren Zukunftsplan für einen klimagerechten Umbau. Sie will nicht genug Geld in die Hand nehmen, „der Markt“ soll es richten. Das muss doch hinterfragt werden! Aber die Rechten gehen an die Gerechtigkeitsfragen nicht ran, die wollen einfach die Zeit zurückdrehen. Wir fordern übrigens durchaus Sanktionen gegen den russischen Überfall auf die Ukraine - wie gegen den militärisch-industriellen Komplex in Russland und die Oligarchen, die Putin stützen. Aber hier bleibt die Regierung vorsichtig, weil man z.B. mit Maßnahmen gegen Vermögensverschleierung auch den Reichen hierzulande auf die Füße treten würde. Ansonsten setzen wir - bei einer klaren Solidarität mit der Ukraine - nicht auf noch mehr Waffenlieferungen, sondern auf eine diplomatische Lösung.

Im Osten können Sie ja noch punkten. In Thüringen stellt die Linke mit Bodo Ramelow einen Ministerpräsidenten. In Rostock wurde eine Linke zur Oberbürgermeisterin gewählt. Sind Sie auf dem Rückweg zu einer ostdeutschen Regionalpartei?

Nein, wir wollen und werden weiter eine Partei für ganz Deutschland sein. Aber Bodo Ramelow spielt als unser erster und bisher einziger Ministerpräsident natürlich eine zentrale Rolle dabei, unsere Partei zu neuen Erfolgen zu führen. Und die Wahl von Eva-Maria Kröger in Rostock zeigt, dass wir mit lokaler Verankerung und Engagement wieder Wahlen gewinnen können.

Ein ehrgeiziges Ziel. Aktuell sind Sie nur noch in drei der zehn westdeutschen Landesparlamente vertreten. Bei der Bundestagswahl 2021 scheiterten Sie an der Fünf-Prozent-Hürde...

Die Linke gibt schon seit geraumer Zeit zu oft kein einheitliches Bild mehr in der Öffentlichkeit ab. Darunter litt auch unsere Erkennbarkeit. Pluralität innerhalb einer Partei kann gut sein - wenn sich die verschiedenen Positionen ergänzen - aber bei uns waren sie oft vor allem gegeneinander gerichtet. Das ist ein Grund für die Wahlschlappe 2021 und die auch aktuell schlechten Umfragewerte.

„Kein einheitliches Bild“? Sprechen wir den Namen aus: Sahra Wagenknecht! Sie kritisiert, die Linken wären „abgehoben“, würden Politik statt für kleine Leute für „Lifestyle-Linke“ machen, denen „Gendersprache“ wichtiger sei als das Eintreten für Niedriglöhner...

Das ist doch Quatsch. Sehr viele Linken-Politiker, auch ich, setzten sich ganz entschieden für die Sorgen der kleinen Leute ein. Gerade waren wir in einem „Heißen Herbst“ monatelang gegen hohe Lebensmittel- und Energiepreise auf der Straße. Für das neue Jahr planen wir eine Umverteilungsoffensive. Aber es stimmt: Wir tun uns seit Längerem schwer, dass vielen unserer potenziellen Wähler auch so zu vermitteln–auch weil wir so einen zerrissenen Eindruck machten. Diese Selbstbeschäftigung muss endlich aufhören. Wir müssen wieder mehr Kante zeigen. Ich bin da aber optimistisch. Uns ist es bereits gelungen, hier voranzukommen.

Werfen Sie Frau Wagenknecht aus der Linkspartei raus?

Von einem Rausschmiss halte ich nichts. Aber was gar nicht geht, ist in der Öffentlichkeit über die Gründung einer neuen Partei zu spekulieren. Da wird eine Grenze überschritten. Das schadet der Linken in der Öffentlichkeit und sollte nicht sein. Wer Mitglied ist und bleiben will, muss ein klares Bekenntnis zu unserer Partei ablegen. Das kann man schon erwarten.