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Zukunftsvisionen

Strukturwandel in der Lausitz: 8 Innovative Projekte

Ein bedeutendes Experiment steht bevor: Bis 2038 soll in der Lausitz, einem der drei deutschen Braunkohle-Bergbaureviere, Schluss sein mit dem Abbau. Doch was folgt danach? Wie kann eine ganze Region eine neue Identität bekommen? Wir stellen zehn Menschen vor, die mit ihren Ideen und Projekten zum Gelingen der Umwidmung der Gegend beitragen

von S. Krüger/A. Janevska

Braunkohleabbau: 17 Milliarden Euro für den Stopp

Kohle gegen Kohle, das ist der Deal. 17 Milliarden Euro stehen Sachsen und Brandenburg zur Verfügung – als Ausgleich dafür, dass es in der Lausitz bis 2038 vorbei sein wird mit ihrem zentralen Wirtschaftszweig, dem Abbau von Braunkohle und deren Verstromung. Das gilt auch für das Rheinische Revier westlich von Köln und das Mitteldeutsche Revier südlich von Leipzig. Insgesamt lässt sich der Bund das 40 Milliarden Euro kosten.

Mit der gewaltigen Summe sollen Länder, Landkreise und Kommunen den Strukturwandel wuppen. Neue Pfade sollen beschritten, bestenfalls neue Industrien hochgezogen werden.

Dass dieser Weg kein leichter wird, erkennt jeder, der heute durch die Lausitz fährt. Vielerorts künden imposante Backsteinruinen von einer Zeit, in der die Gegend propagandistisch „Energiebezirk“ hieß. Seit 1990 verloren fast 90 Prozent der hiesigen Kohlebeschäftigten ihren Job. Von den 15000 Arbeitern, die etwa das Kraftwerk Schwarze Pumpe bei Spremberg Ende der 80er-Jahre hatte, waren 2018 noch 3500 übrig. Seit den 90ern schrumpfte die Bevölkerung in der Lausitz um fast ein Drittel. Bis heute denken viele Menschen in der Region über einen Wegzug nach: aktuell jeder Zehnte, wie der Lausitz Monitor 2021 des Leipziger Marktforschungsunternehmens MAS Partners zeigt.

Johannes Staemmler: "Wir machen das schon: Lausitz im Wandel"

Wer also soll den Neustart anpacken? Der Strukturbruch der 1990er-Jahre mag zwar bewältigt sein. Doch die Erinnerungen daran, wie brachial die Plan- auf die Marktwirtschaft umgestellt wurde, sind noch immer frisch. Seitdem sitzt die Skepsis tief gegenüber jenen, die als „Veränderungsansager“ von anderswo, nicht aus dem Osten und schon gar nicht aus der Lausitz selbst kamen.

Damit der Strukturwandel diesmal wirklich gelingt, muss vieles anders laufen als vor 30 Jahren. Johannes Staemmler, Politik-Berater beim Potsdamer „Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung“, schreibt in seinem Buch „Wir machen das schon. Lausitz im Wandel“, dass heute statt überhöhter Erwartungen pragmatischer Realismus gefragt ist, und zwar bei allen Akteuren. „Der Motor für heutiges Handeln sind nicht blumige Utopien vom Neuland Lausitz, in dem nun alles möglich sei. Es ist vielmehr der individuelle Antrieb, sich die Zukunft anzuverwandeln. Es geht darum, den jeweils nächsten Schritt zu gehen, in Kooperation miteinander oder im Wettbewerb.“

Staemmler zeigt, dass es nicht „die eine Lausitz“ gibt, und schon gar nicht „die typischen Lausitzer“. Stattdessen versammelt er in dem von ihm herausgegebenen Band Menschen, die sozial, biografisch und kulturell so geprägt sind, dass sie nicht die Arme verschränken und abwarten, was der Kohleausstieg für sie bringt. Sondern die das Schicksal ihrer Heimat in die Hände nehmen und formen - in ihrem jeweiligen Radius, aus ihrem individuellen Blickwinkel.

Einige dieser Porträts finden Sie auf diesen Seiten, kombiniert mit weiteren Machern, die wir bei der „Zukunftswerkstatt Lausitz“ kennengelernt haben, einem Projekt der regionalen Wirtschaftsförderung.

1NITE TENT: Campen in fremden Gärten

Als sie 2015 eine Woche durch Schweden reisten und jede Nacht woanders ihr Zelt aufschlugen, wurde ihre Idee geboren: Anne-Sophie Hußler und Patrick Pirl haben mit „1Nite Tent“ eine Onlineplattform gegründet, die es ermöglicht, Urlaubern den heimischen Garten für eine Nacht als kostenlosen Schlafplatz zur Verfügung zu stellen. Weil Wildcampen hierzulande nicht erlaubt ist, möchten die beiden Oberlausitzer Naturliebhabern „ein Stück Freiheit zurückgeben“, wie sie sagen. Auf 1nitetent.com bieten inzwischen rund 500 Menschen in elf Ländern private Grünflächen an. Sie können via Mail oder Telefon kontaktiert werden. Für ihr Projekt, das die Illustratorin und der BWL-ler mit Spenden finanzieren, wurden sie 2019 beim Ideenwettbewerb für Tourismus in Sachsen ausgezeichnet

LABA: Kleidung und Accessoires mit Geschichte

Ein T-Shirt ist mit dem Hexenhäuschen des Bautzner Künstlers Rudolf Warnecke bedruckt. Ein Anstecker zeigt eine kleine Zeichnung der sorbischen Sagenfigur „Mittagsfrau“ mit ihrer Sichel. Mit seinem Label LABA (abgekürzt von „Lauter Bautzner“) verkauft Gerhard Zschau seit 2016 Produkte, die sich mit der Oberlausitz und ihren kulturellen Eigenheiten beschäftigen. Hierfür arbeitet der gebürtige Bautzner mit lokalen Künstlern und Manufakturen eng zusammen. „Ich höre ihre Geschichten und erzähle sie weiter“, sagt der gelernte Fischer, der hauptberuflich als Bibliothekar in Zittau arbeitet. Die Mode gibt es online unter shop.laba.de. Und im Fashion Truck: Mit dem Dreirad ist Zschau immer wieder in der Region unterwegs. Pro verkauftem T-Shirt spendet er einen Euro an lokale Vereine.

Oberlausitzer Alpakaland: Abschalten im Alpakaland

Alpakas sind nicht nur süß anzuschauen. „Sie fangen die Stimmung der Menschen auf und wirken entspannend“, sagt Linda Hanspach, die seit 2014 gemeinsam mit ihrer Familie Alpakas züchtet. Seit den 90ern stand der familiäre Bauernhof mit den weitläufigen Weiden in Bernstadt auf dem Eigen leer. Lindas Bruder Leon kam auf die Idee, den Hof mit Tieren wiederzubeleben. So fiel die Wahl auf Alpakas, die ursprünglich aus Südamerika stammen und inzwischen durch die sozialen Medien besonders bei jungen Leuten beliebt sind. Mit vier Alpakas fing bei den Hanspachs alles an, mittlerweile sind es 17. Die Familie bietet Hofführungen und Wandertouren an, und vertreibt Produkte aus der warmen Alpakawolle im eigenen Hofladen. Webseite: oberlausitzer-alpakaland.de

Ein Korb voll Glück: Geschmack der Oberlausitz

Das beste Essen wächst vor der eigenen Haustür, meint die Zittauerin Anja Nixdorf-Munkwitz. Mit ihrem Privatprojekt „Ein Korb voll Glück“ sorgt die hauptberufliche Kulturmanagerin dafür, dass regional und nachhaltig hergestellte Nahrungsmittel populärer werden. Sie sagt: „Für mich als leidenschaftliche Köchin ist das Leitmotiv Genuss! Ich will das 365-Tage-Sortiment der Discounter durch den unverwechselbaren Geschmack meiner Heimat Oberlausitz ersetzen.“ Auf ihrem Blog ein-korb-voll-glueck.de listet sie Produzenten und Direktvermarkter auf. Außerdem gibt sie Wissen weiter, informiert in Steckbriefen über regionale Gemüsesorten und macht mit alten einheimischen Rezepten Lust aufs Genießen.

NETPAPA & Ostsachsen.de: Der bloggende Oberlausitzer

Schon seit 22 Jahren ist Mario Förster als Grafiker, Webdesigner und Autor selbstständig. Inzwischen ist der gebürtige Görlitzer in seiner Wahlheimat Königshain vor allem als bloggender Papa bekannt: Auf netpapa.de, einem der meistgelesenen Vaterblogs Deutschlands, teilt er seine Erfahrungen als Vater zweier Söhne, gibt Ratschläge und lässt Gastautoren zu Wort kommen. „Väter sind anders als Mütter und noch lange nicht bei allen Themen und in der Öffentlichkeit angekommen“, sagt er. Auf seinem zweiten Blog ostsachsen.de geht es um Heimatliebe: Hier berichtet Förster aus der Oberlausitz, verrät Ausflugstipps und stellt Menschen vor, „um das positive Bild dieser lebenswerten Region nach außen zu tragen“.

Weinfreundin-Vinothek: Auf einen Wein zur Weinfreundin

In der ehemaligen Keksfabrik in Cottbus hat sich Maeriaen Neuenfeldt ihren Traum von einer eigenen Vinothek erfüllt. Wo ehemals Kekse, Lebkuchen und Dominosteine produziert wurden, berät Diplom-Sommelière Neuenfeldt seit 2016 Weinliebhaber bei der Auswahl verschiedenster österreichischer und deutscher Bio-Weine. Bis zur Eröffnung ihrer „Weinfreundin“ durchlief die gelernte Hotelfachfrau Top-Stationen in Europa und Amerika: Unter anderem bediente sie in einem Golfhotel in England Michail Gorbatschow, in Wien arbeitete sie als Chef-Sommelière im Hotel Sacher. Wegen der Liebe kehrte die Cottbuserin schließlich in ihre Heimat zurück. „Meine Erfahrungen aus aller Welt bündele ich nun in meiner Vinothek.“ Webseite: weinfreundin-cottbus.de

Fotoausstellung „Gesicht zeigen“: Ihr Herz schlägt für die Lausitzer Braunkohle

Kindergärtnerin, das war einmal ihr Traumberuf. Doch das Leben spielte anders und nun arbeitet Silke Butzlaff seit 37 Jahren „in der Braunkohle“, steuert heute im Tagebau Welzow-Süd einen riesigen Eimerkettenbagger. Das prägendste Erlebnis der letzten Jahre war für sie, als 2016 über 1 500 Klimaaktivisten von „Ende Gelände“ ihren Tagebau „überfielen“, Bagger und Förderbrücken besetzten. Sie erinnert sich: „Sie trampelten auf unserer Arbeit herum, beschimpften uns als Klimakiller. Das tat weh!“ Sie verteidigte ihr Revier, mobilisierte Gegendemos. Daraus entstand die Idee zur Fotoausstellung „Gesicht zeigen“: Silke Butzlaff griff zur Kamera, fotografierte ihre Kollegen, organisierte eine Schau der Porträts, die inzwischen in allen Kraftwerken der LEAG zu sehen war.

FabLabCB: Drucken und programmieren im Cottbuser Technik-Bus

Ideen, aber keine Werkstatt? Technik-Interesse, aber kein Werkzeug? In Cottbus ist das kein Grund mehr zum Verzweifeln, seit es 2013 das FabLabCB („Fabrikationslabor“) gibt, eine offene Werkstatt für jedermann. Maximilian Voigt, Ex-BTU-Student und engagiert in der Technik-Mitmach-Szene: „Ziel ist es, den Zugang zu modernen Fertigungsverfahren zu demokratisieren, und das möglichst unkompliziert.“ Zum FabLabCB gehört das FabMobil. Der umgebaute Technik-Bus fährt über die Dörfer, um interessierten Jugendlichen die Arbeit mit 3-D-Drucker, Laser-Cuttern und CNC-Maschinen näherzubringen.