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Gastbeitrag von Linda Teuteberg

Was Angela Merkel für die Frauen bewirkt hat

Wieviel hat Angela Merkel für die Gleichberechtigung der Frauen erreicht? Linda Teuteberg (FDP), selbst eine der wenigen ostdeutschen Frauen in der Spitzenpolitik, stellt ihr in einem Gastbeitrag für SUPERillu ein manchmal bewunderndes, aber auch kritisches Zeugnis aus 

Von Linda Teuteberg



Das „Time Magazine“ kürte sie 2017 zur„Person des Jahres“, fünf Jahre später nahm das US-amerikanische Blatt sie in die Reihe der „100 einflussreichsten Personen der Welt“ auf. Beide Titel sind geschlechtsneutral. Angela Merkel wurde nicht erklärtermaßen als Frau gewürdigt, sondern für ihre Arbeit, für ihr Wirken geehrt. Ist also im Jahr 2021 die Frage, ob das Geschlecht in der Politik eine Rolle spielt, passé? Diese Frage ist in einem derartigen Maße rhetorischer Natur, dass sie keine Frau und auch keinen klugen Menschen männlichen Geschlechts kalt lassen kann. So sehr ich auch an Inhalt und Stil der Politik der Bundeskanzlerin deutliche Kritik zu üben habe – darum soll es in diesem Text nicht gehen. 

Sie war ein starkes Signal für viele Frauen

Klar ist: Angela Merkel hat für die Frauen in der Politik viel bewirkt. Weniger durch ausdrückliche Frauenpolitik, etwa als Familienministerin. Ihre Wirkung für die Geschlechtsgenossinnen ist eher faktisch-symbolischer Art. Angela Merkel war und ist der unübersehbare Beweis: Frauen können selbstverständlich Kanzler, Frauen können Macht. Und Frauen können Geschichte: Angela Merkel hat als Generalsekretärin, als Partei- und Fraktionsvorsitzende, als Kanzlerkandidatin und schließlich als langjährige Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland ihren Stempel aufgedrückt. Ihr Kapitel ist lang und historisch einschneidend. Die erste demokratisch gewählte Regierungschefin in Deutschland war ein starkes Signal für viele Frauen, für manche Männer gewiss auch.

Vieles spricht dafür, dass Angela Merkel an Frauenpolitik einfach nicht besonders interessiert war

Kritikerinnen bemängeln Merkels dürftige frauenpolitische Agenda. Sie habe sich zum Beispiel lange gegen eine Frauenquote gesperrt und auch zunächst das Elterngeld abgelehnt. Der Grund dafür liegt aber weniger in einer bewusst antifeministischen Einstellung. Vieles spricht dafür, dass Angela Merkel an Frauenpolitik einfach nicht besonders interessiert war. Die promovierte Physikerin musste sich selbst noch zu DDR-Zeiten in einer männlich geprägten Wissenschaftsdomäne behaupten. Das Durchkämpfen ging gleich so weiter, als sie 1991, durch Bundeskanzler Helmut Kohl in sein Kabinett berufen, von vielen als sein „Mädchen“ betitelt wurde. Dass sie sich überhaupt in die zunächst völlig fremde Welt des politischen Bonn hineinwagte und diese nicht den Männern überlassen wollte, mag auch darin begründet sein, dass sie in der DDR ein anderes Frauenbild kennengelernt hatte, als es in der Bonner Republik herrschte. 

Frauen waren im real existierenden Sozialismus im Prinzip in allen Berufen akzeptiert, da Arbeitskräftemangel herrschte und die Erwerbstätigkeit von Frauen schlichte ökonomische Notwendigkeit war. Dass hohe Erwerbsbeteiligung von Frauen nicht zwangsläufig identisch ist mit wirklicher Gleichberechtigung in Partnerschaft und Familie und auch regelmäßig nicht bis in höchste Ämter und Funktionen führte, steht auf einem anderen Blatt und ist eine differenzierte Auseinandersetzung wert. Das Bonner Familienministerium, das Angela Merkel im vorletzten Kabinett Kohl übernahm, war eine Art Ministerinnen-Reservat. Bis auf drei Ausnahmen wurde es in der Geschichte der Bundesrepublik durch Frauen geleitet. Deshalb und weil es mit einem damals nur relativ kleinen Zuständigkeitsbereich ausgestattet war, betrachtete es der Kabinettsneuling Angela Merkel wohl eher als Durchgangsstation. 

Als Pionierin weiblicher Kanzlerschaft ist ihr ein besonderer Platz in der Geschichte sicher

Angela Merkel hat das historische Verdienst, die gläserne Decke im Bundeskanzleramt durchstoßen, das höchste Regierungsamt für die Frauen erobert zu haben. Aber der Preis, den sie dafür entrichtete, war hoch. Wir alle kennen die Fotos aus ihrer politischen Anfangszeit, in der sie noch äußerst leger, ohne Blazer und im wallenden Rock, als Regierungssprecherin für Lothar de Maizière arbeitete. Mit dem Aufstieg in der CDU sowie in Regierungsämter sollte ihr Körper unter einer schwarzen Hose und einem Blazer verschwinden. Der Besuch in der Osloer Oper 2008 in einem tief ausgeschnittenen schwarzen Kleid, das der deutschen Medienöffentlichkeit erst den Atem nahm und sie dann mehr beschäftigte als so manche Kabinettsentscheidung, sollte Folgen haben: Die Bundeskanzlerin zeigte nie mehr Dekolleté. Hier zeigt sich auch ein trauriger Mangel an Souveränität im Umgang mit weiblicher Körperlichkeit, der die Wahrnehmung und Beurteilung in der Öffentlichkeit stehender Frauen prägt. Frau muss sich hierzulande wahlweise Männlichkeit nachahmende Uniformiertheit vorwerfen lassen oder ertragen, für klassische weibliche Attraktivität auf diese reduziert und in ihrer Kompetenz in Frage gestellt zu werden.

Angela Merkel ist als Pionierin weiblicher Kanzlerschaft in der Geschichte Deutschlands ein besonderer Platz sicher. Dennoch ist mit einer 16 Jahre regierenden Kanzlerin der Kampf der Geschlechter in der Politik nicht beendet. Wie sollte er auch? Die Männer haben in den Frauen nun weitere Konkurrenz im Kampf um Mandate, Ämter und Parteifunktionen erhalten. Die Anzahl der Plätze ist indes begrenzt, der Wettbewerb um sie scharf. Frauen sind noch immer – das zeigt z. B. ihr zuletzt wieder auf unter ein Drittel gesunkener Anteil im Parlament – nicht ihrem Bevölkerungsanteil entsprechend im Bundestag vertreten. So grundsätzlich falsch die Annahme ist, dass demokratische Parlamente nur dann „wahrhaft repräsentativ“ seien, wenn alle Gruppen im Verhältnis ihrer Stärke dort vertreten sind: Mehr Frauen in der Politik und in Führungspositionen überhaupt sind gleichwohl aus vielen Gründen erstrebenswert. 

Warum sie eine veränderte Republik hinterlässt

Ein weiteres Hindernis für echte Gleichberechtigung lässt sich nicht so schnell durch Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf regeln: die männliche Codierung von Sprache und Machtdemonstrationen in der Politik. Was Durchsetzungsstärke ist und was überzeugend wirkt, ist noch immer in vielen Köpfen – oft unbewusst – mit männlichen Attributen verbunden. Viele Frauen sind aber nicht bereit, sich diesen männlich geprägten Sprach- und Macht-Codes zu unterwerfen. Solange das Männliche in der Politik allzu oft Maß des Menschlichen ist, so lange werden weibliches Handeln und Auftreten in der Politik als Abweichung von der Norm verstanden. Frauen müssen erst und immer wieder beweisen, dass sie „ihren Mann stehen“. Beispielhaft für die Betrachtung von Frauen in der politischen Arena sind zwei Stereotype: Entweder werden sie wegen ihres Alters oder Aussehens nicht für voll genommen („Mädchen“) oder sie gelten bei Zielstrebigkeit und Durchsetzungsvermögen als stur, zickig, eiskalt und männermordend. Der Aufstieg von Frauen in der Politik ist hinter vorgehaltener Hand häufig Gegenstand ebenso kühner wie wenig origineller Verschwörungserzählungen. Der raue Ton in sogenannten sozialen Medien tut ein Übriges. 

Was es da bedeutet, die erste demokratisch gewählte Regierungschefin geworden und lange Zeit geblieben zu sein, kann gar nicht überschätzt werden. Um dies zu ermessen, lohnt ein Rückblick auf die Elefantenrunde am 18. September 2005 mit einem berüchtigten Auftritt Gerhard Schröders. Platzend vor Testosteron grölte der auf seine beachtliche Aufholjagd stolze Wahlverlierer: „Niemand außer mir ist in der Lage, eine stabile Regierung zu stellen. Niemand außer mir!“ Bis zur Wahl oder genauer bis zum Wahlabend schien Angela Merkel die Ungeheuerlichkeit ihres Unterfangens selbst nicht klar zu sein. Damals machte ich nach meinem ersten Staatsexamen ein Praktikum bei einer Landesministerin und begleitete diese am Dienstag nach dem Wahltag zu einer TV-Diskussion am Pariser Platz. Beim anschließenden Umtrunk sinnierte der Moderator des Podiums, dass „diese Frau nie Kanzlerin“ werden würde. Das würden die Männer in der Union nicht zulassen. Der Brandenburger Landesverband ihrer Partei jedenfalls erkannte ihr Potenzial einst nicht und verschmähte sie als mögliche Landesvorsitzende. Moderator und Verband sollten sich irren. Doch noch einige Zeit wurde dieser Wahlabend des Jahres 2005 weniger als Totalausfall eines einzelnen Mannes diskutiert, als dass ernsthaft einige seiner absurden Optionen erwogen wurden. 

Dass die kleinen Mädchen in Deutschland nun träumen können, vieles zu werden – auch Kanzlerin –, hat daher auch ohne feministisches Manifest viel mit Angela Merkel zu tun. Auch wenn sie selbst richtigerweise feststellt, dass eine Schwalbe noch keinen Sommer macht: Die normative Kraft des Faktischen wirkt hier unbestritten. Mädchen und Frauen finden mit der ersten Kanzlerin auch ein Rollenmodell. In dieser Hinsicht hinterlässt sie eine veränderte Republik. Und hat eine bleibende Herausforderung bereits selbst formuliert: „Aus der Tatsache, dass es mich gibt, darf kein Alibi werden.“