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Interview

Miss Sachsen Sophie Jones: Mein Ausstieg von den Zeugen Jehovas

Sie wurde als Zeugin Jehovas erzogen. Mit 18 schaffte die Leipzigerin Sophie Jones den Ausstieg. Heute klärt die 25-Jährige über die Gefahren der religiösen Indoktrination auf

Sophie Jones, 25, lebt in Leipzig. Bis zu ihrem 18. Lebensjahr war sie Zeugin Jehovas. Den Ausstieg schaffte sie, nachdem ihr zunehmend Zweifel an den Glaubens- und Lebensregeln der fundamentalen christlichen Gruppierung kamen. Die hatte sie dazu gebracht, den Kontakt zu ihrem Vater abzubrechen. Nach einem Selbstmordversuch schaffte sie den Ausstieg. Vor rund 3 Jahren outete sich Sophie Jones in einem Youtube-Video. Seither widmet sie sich aktiv der Aufklärungsarbeit über die Zeugen Jehovas, die sie als „Sekte“ sieht.

Sophie, hat Ihnen das Aufwachsen als Zeugin Jehovas Ihre Kindheit geraubt?

So würde ich es nicht ausdrücken. Es hat mir sehr viele Dinge geraubt. Meine Zukunft war fremdbestimmt. Aber ohne diese Erfahrung wäre ich heute auch nicht die, die ich bin. Ich hatte die Chance, mir ein neues, freies Leben aufzubauen.

Auch Ihre Eltern sind bzw. waren Zeugen Jehovas. Wie kam es dazu?

Ich wurde in diese Religion hineingeboren. Mein Vater hatte Kontakt zu Zeugen Jehovas und interessierte sich für die Bibel und ihren Glauben. Als Zeuge soll man möglichst „im Herrn“ heiraten, also einen Partner der den Glauben teilt. Als er meine Mutter kennenlernte war sie der Religion gegenüber sehr interessiert und da uneheliche Beziehungen von Gott unerwünscht sind, heirateten sie bald. Meine Großeltern waren ganz normale „Weltmenschen“, wie die Zeugen Nicht-Gläubige und Andersgläubige nennen. Nach der Scheidung meiner Eltern blieb ich bei meiner Mutter, die mich allein weiter in der „Religion“ der Zeugen Jehovas aufzog. Da wir kein gutes Verhältnis hatten, zog ich mit 16 allein in die Nähe von Leipzig um eine Ausbildung zu beginnen. Ein Abitur habe ich nicht gemacht, da höhere Bildung für Jehovas Zeugen nicht wichtig ist. Mit 18 Jahren fasste ich den Entschluss, mein Leben neu zu beginnen: Ich habe den Zeugen den Rücken gekehrt und endlich angefangen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

Woran glaubten Sie, wie sah Ihre Kindheit aus?

Ich wuchs auf in der Gewissheit, Teil einer von Gott auserwählten Gemeinschaft zu sein und nach dem einzig wahren Glauben zu leben. Die anderen Mitglieder waren wie meine Familie, wir trafen uns regelmäßig und hatten ein enges Verhältnis. Jede Versammlung bzw. Gemeinde trifft sich mehrmals wöchentlich zu Zusammenkünften im Königreichssaal, dazu Studium der Publikationen, Bibellesen und dann die Predigtdienste, bei denen man gemeinsam missioniert. Ich stand seit Kindesbeinen an mit Glaubensbrüdern und Glaubensschwestern bei wildfremden Menschen vor der Tür, mit dem „Wachtturm“ in der Hand. Die Weltmenschen lebten für uns in einer von Satan beherrschten Welt, wir hatten das Heilsversprechen und brachten ihnen die gute Botschaft. Ich dachte immer, die bösen Weltmenschen würden in der Schlacht von Harmagedon, dem Ende der Welt, ausgelöscht werden und ich selbst bleibe, sofern ich die strengen Glaubensregeln befolge, verschont und werde am Ende im ewigen Paradies auf Erden leben. Als meine Oma starb, war es für mich absolut furchtbar, zu wissen, dass sie nicht an Jehova geglaubt hat und wahrscheinlich auch nicht von den Toten wiederauferstehen wird. Deswegen war mir das Predigen so wichtig, ich wollte Leben retten.

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Unterstützt andere beim Sektenausstieg: Miss Sachsen Sophie Jones

In Ihrem Buch “Erlöse mich von dem Bösen“ schreiben Sie, wie Sie in der Schule für Ihren Glauben gemobbt wurden.

Als ich aufs Gymnasium kam, wurde es schwierig, denn ich kannte all die Dinge nicht, die für meine Mitschüler ganz normal waren, ich trug keine Markenklamotten, konnte bei angesagten Filmen nicht mitreden und hatte keinen Freund, all das waren ja aus Sicht der Zeugen verwerfliche Dinge. Stattdessen betete ich vor jeder Mahlzeit und hatte fast nur Freunde, die auch Zeugen waren, da alle anderen als schlechter Umgang galten. Ich war eine uncoole Außenseiterin. Ich war der Freak. Dass ich auch keine christlichen Feste feierte wie Weihnachten, Ostern und auch nicht meinen eigenen Geburtstag, machte es nicht besser. Kein Verkleiden an Halloween und keine Böller zünden an Silvester. Meinen Mitschülern gratulierte ich zum Geburtstag nicht, weil ich wusste, Gott beobachtet mich und er hasst diese heidnischen Feste. Ich hatte immer Angst und Schuldgefühle eine dieser vielen Regeln zu missachten.

Sie schreiben im Buch über Ihren großen Leidensdruck. Wie stellte sich das dar?

Die Zeugen Jehovas erlegen sich in ihrer Sicht auf die Welt und Gott sehr strenge Regeln auf. Der Lebensinhalt ist Jehova Gott. Es geht um Selbstbeherrschung und Selbstaufopferung um Gott zu gefallen und seine Gebote zu achten. Das ist besonders als Teenager mit geteiltem Elternhaus nicht leicht, denn diese Werte stehen auch über der eigenen Familie. Das übt einen ungeheuren Druck auf die Menschen aus. Im Zuge der Scheidung meiner Eltern wurde mein Vater aus der Gemeinschaft ausgeschlossen und zu Ausgeschlossenen ist jeder Kontakt untersagt, egal ob Familie oder Freunde. Mir wurde immer klar gemacht, dass mein Vater schlechter Einfluss ist. Er war abtrünnig. Wer sich entscheidet die Gemeinschaft zu verlassen, dem blüht dasselbe, man verliert nicht nur den Lebensinhalt, sondern auch alle geliebten Menschen. Wer keine Kontakte zu Weltmenschen hat, die einen auffangen könnten, steht dann völlig allein da. Das hält viele davon ab, den Schritt zu tun und diesen Kreis zu verlassen.

Wie gelang Ihnen selbst der Ausstieg?

Nach meiner Taufe mit 17 Jahren und dem Kontaktabbruch zu meinem Vater kam einiges zusammen. Ich hatte die Taufe in meiner Zerrissenheit angestrebt, der endgültige Kontaktabbruch zu ihm war Bedingung und der Druck eine perfekte Christin zu sein sehr hoch. Zweifel an dem, was ich tue, hatte ich schon all die Jahre in mir und ganz furchtbare Schuldgefühle, weil ich den Anforderungen nie gerecht werden konnte. Ich versuchte alles zu tun, was Gott von mir erwartete, war fehlbar und litt furchtbar darunter. Als dann auch noch meine beste Freundin aus der Gemeinschaft ausgeschlossen wurde, rüttelte mich das wach: Ich wollte nicht in diesem Paradies enden, wenn keiner meiner geliebten Menschen dort jemals auftauchen würde, sie waren ja reuelose Sünder. So kamen all die Fragen, die mich schon lange quälten, ins Rollen. Glücklicherweise wohnte ich nicht mehr bei meiner Mutter, sondern war umgezogen und hatte somit auch die Gemeinde gewechselt. Das hatte den Vorteil, dass meine Heimatversammlung weit weg war und ich mir ein Doppelleben mit Kontakt zu normalen Weltmenschen aufbauen konnte. Das hätte ich unter Beobachtung der Glaubensbrüder und -schwestern zuhause nicht gekonnt. Ich wusste, wenn ich aussteige, verliere ich mein komplettes soziales Umfeld. Aber ich ging das Risiko ein, denn ich wollte mein Leben endlich selbst in die Hand nehmen. Mein Ausstieg verbreitete sich wie ein Lauffeuer in der Versammlung, es kamen danach auch ein paar Nachfragen, die ich größtenteils ignorierte. Und dann existierte ich nicht mehr für sie und hatte meine lang ersehnte Ruhe.

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Hat heute ein freies Leben: Sophie Jones nach ihrem Ausstieg bei den Zeugen Jehovas

Halten Sie die Zeugen Jehovas für eine Sekte?

Als ich ausstieg, war mir das noch nicht so klar, aber heute sage ich: definitiv ja. Auch wenn es rechtlich keine klare Definition gibt, wurden von unabhängigen Institutionen und Wissenschaftlern eine Vielzahl von Sektenmerkmalen formuliert, die auf Jehovas Zeugen zutreffen. Typisch für eine Sekte ist etwa die hierarchische Struktur, die Abgrenzung von der Außenwelt und die Indoktrination, die Isolation und seelische Abhängigkeit schafft. Gefühle und Gedanken werden kontrolliert und die Mitglieder halten sich für die „Elite“, die den anderen Menschen ein Heilsversprechen bringt – klassisches Schwarz-Weiß-Denken. Der Glaube an den Weltuntergang, der Eingriff in das intimste Privatleben und vor allem in die Gesundheit, durch das Verbot von lebensrettenden Bluttransfusionen sind für mich besonders gefährlich.

Das Kontaktverbot und die Ächtung ehemaliger Mitglieder bedeutet den sozialen Tod und zerstört Familien. Das hat schon viele in Verzweiflung, Depression und in den Suizid getrieben. Auch dass Frauen nicht gleichberechtigt sind oder Homosexualität nicht toleriert wird, halte ich für erschreckend. Es gibt noch mehr Sektenmerkmale, die auf Jehovas Zeugen zutreffen, aber da sie in Deutschland den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts haben und damit den großen Kirchen gleichgestellt sind, rechtfertigen sie sich im Rahmen der Religionsfreiheit. Ich halte das für falsch und kämpfe im Verein JZ Help gegen diese staatliche Legitimierung der Gruppierung. In anderen Ländern, wie zum Beispiel der Schweiz, gelten sie als Sekte und ich hoffe, die deutsche Regierung nimmt sich daran ein Beispiel zum Schutz von Kindern und Familien.

Vor 3 Jahren sind Sie mit Ihrer Ausstiegs-Geschichte an die Öffentlichkeit gegangen. Was brachte Sie denn zu Miss Germany?

Mich hat die Teilnahme gereizt, weil es seit 2 Jahren ein komplett neues Konzept gibt. Es zählen Engagement und Persönlichkeit, nicht das Model-Aussehen. Es gibt dort ein neues Frauenbild, mit dem ich mich gut identifizieren kann. Ziel war, eine Plattform für meine Aufklärungsarbeit zu finden und ein Vorbild für andere junge Frauen sein, indem ich zeige, dass man seine Träume in Realität verwandeln kann. Dann wurde ich Miss Sachsen. Die Teilnahme war für mich selbst auch ein Beweis für mein neues Leben.

Sie haben neben Ihrer Ausbildung zur Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste auch ein Bachelorstudium in Bibliothekswissenschaften begonnen!

Ja, es war mir wichtig, dass die Vergangenheit nicht mehr meine Zukunft bestimmt, auch was Bildung angeht. Jetzt habe ich endlich meinen Bachelorabschluss in der Tasche.

Feiern Sie inzwischen Weihnachten, Ostern und Ihren eigenen Geburtstag?

Ganz ehrlich: Diese Anlässe sind für mich nicht ganz unbeschwert, sondern ein bisschen melancholisch. Zu solchen Tagen kommt vieles wieder hoch aus der Vergangenheit, ich tue mich noch schwer damit, aber das ist auch nicht schlimm. Wenn es die Zeit erlaubt fahre ich mit einer Freundin in den Urlaub.

Was wünschen Sie sich für Ihr Leben?

Ich bin unendlich dankbar und glücklich, dass ich endlich selbstbestimmt und frei sein darf. Ich hoffe, dass ich zukünftig noch mehr Menschen mit meiner Erfahrung helfen und dazu beitragen kann, dass sich in der Gesellschaft etwas ändert.