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© Marcus Kaufhold | SuperIllu
Politik-Interview

Mario Voigt und Bernhard Vogel: Umgang mit der AFD

Bernhard Vogel, von 1992 bis 2003 CDU-Ministerpräsident von Thüringen, ist einer der letzten Gestalter der deutschen Einheit, der noch lebt. SuperIllu traf ihn gemeinsam mit dem etwa halb so alten heutigen CDU-Chef von Thüringen Mario Voigt an historischem Ort: dem Grab des Kanzlers der deutschen Einheit Helmut Kohl.

Bernhard Vogel war einst einer der engsten Vertrauten von Helmut Kohl, Bundeskanzler von 1982 bis 1998 und Vater der deutschen Einheit. Im Westen war er von 1976 bis 1988 als Kohls Nachfolger Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz. 1992 wurde er Ministerpräsident von Thüringen, wo er elf Jahre lang wichtige Weichen stellte. 1999 wählten ihn die Thüringer mit 51 Prozent wieder, bevor er 2003 von sich aus abtrat, um Dieter Althaus, einem Ostdeutschen, Platz zu machen. Heute ist Prof. Dr. Bernhard Vogel 90 Jahre alt. Das Gehen fällt ihm manchmal schwer, aber geistig ist er noch topfit. Der aktuelle Thüringer CDU-Landesvorsitzende Mario Voigt, 46, schaut öfter bei Vogel vorbei, der heute in Speyer am Rhein lebt, unweit vom Grab von Alt-Kanzler Helmut Kohl (1930-2017). Ein symbolträchtiger Ort, an dem SuperIllu-Politikchef Gerald Praschl beide zum Interview traf.

Herr Vogel, Herr Voigt, die AfD steht bei über 20 Prozent, in Thüringen sogar bei über 30 Prozent. Muss die CDU mit ihr zusammenarbeiten, gar koalieren?

Bernhard Vogel: Das Links- und Rechtsextreme heute zusammengerechnet laut Umfragen in einem Bundesland eine Mehrheit haben - wie das leider aktuell in Thüringen der Fall ist - bleibt bis heute Gott sei Dank eine Ausnahme. Die CDU kann selbstverständlich nicht mit der AfD koalieren. Sie kann als die Partei der deutschen Einheit aber auch nicht mit der Nachfolgepartei der SED, den Linken, koalieren. Deswegen verteidige ich nachdrücklich, dass diese beiden Koalitionen nach den bevorstehenden Landtagswahlen 2024 nicht infrage kommen. Gegenüber der AfD muss es eine Brandmauer geben. Aber das darf nicht dazu führen, dass die AfD der CDU vorschreibt, für was oder gegen was wir sind. Deshalb war es völlig richtig, jüngst im Landtag eine Gesetzesänderung zur Grunderwerbsteuersenkung zu beantragen. Dass nur deshalb eine Mehrheit zustande kam, weil auch die AfD dafür war, kann kein Kriterium sein. Die Thüringer CDU unter Führung von Mario Voigt hat das völlig richtig gemacht, hier ihr Profil in den Mittelpunkt zu stellen. Wir wollen mit der AfD nichts zu tun haben. Wir lassen uns aber auch nicht vorschreiben, für oder gegen was wir sind.

Wir wollen mit der AfD nichts zu tun haben. Wir wollen uns aber auch nicht vorschreiben lassen, für oder gegen was wir sind.

Bernhard Vogel
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Der ehemalige Thüringer CDU-Ministerpräsident Bernhard Vogel (r.) und der heutige Thüringer CDU-Vorsitzende Mario Voigt am Grab von Helmut Kohl im Adenauer-Park in Speyer am Rhein.

Wir stehen hier am Grab von Helmut Kohl. Wie hätte er das gemacht?

Vogel: Ziel in Thüringen muss es sein, eine CDU-geführte Regierung der demokratischen Parteien der Mitte zu bilden. Als Koalitionspartner kommen SPD, FDP oder Grüne infrage. Notfalls eben eine Minderheitsregierung, aber keine in einer Koalition mit AfD oder Linken. Das hätte Helmut Kohl genauso gemacht. Er hatte in seiner Zeit als Politiker doch mit ähnlichen Parteien zu tun, NPD und Republikanern. Es wäre ihm nicht in den Sinn gekommen, mit diesen rechtsextremen Parteien zu koalieren. Er hätte sich aber auch bemüht, die Bürger, die diese nur aus Verdrossenheit gewählt haben, für die CDU zurückzugewinnen. Die Grundrichtung der CDU, wie sie 1945 festgelegt wurde, steht: christlich, sozial und wertkonservativ. Unter Helmut Kohl und auch heute.

Mario Voigt: Die AfD will im Kern das abschaffen, was im Mittelpunkt christdemokratischer Werte und Überzeugungen steht: die Würde jedes einzelnen Menschen zu schützen, unsere freiheitlich-demokratische Ordnung, das Streben nach der Einheit Europas, Deutschlands fester Platz im westlichen Sicherheitsbündnis. Der Kurs der AfD ist mit unserem Werteverständnis und unserer DNA unvereinbar. Sie macht außerdem genau wie die Grünen mit Angst statt mit Argumenten Politik. Die Grünen wollen uns weismachen, dass wir in einer Klima-Apokalypse leben und nur sie uns noch retten können. Und die AfD verbreitet das Horrorszenario, die Migrationskrise sei nicht lösbar. Aber beides stimmt nicht. Wir brauchen eine Politik mit Augenmaß und klarem Kompass. Es geht darum, die echten, ganz konkreten Probleme der Leute anzupacken.

Meinen Sie nicht, dass die CDU, 33 Jahre nach dem Ende der DDR, nicht doch mit der Linken koalieren könnte?

Voigt: Nein. Aus gutem Grund kämpfe ich für eine Deutschlandkoalition mit SPD und Liberalen unter Führung der CDU, damit sich etwas ändert in Thüringen. Bei vielen Themen, wie Wirtschaft, Bildung und Gesundheit, fällt Thüringen leider zurück oder es geht in die falsche Richtung. Herr Ramelow und Die Linke stehen aber für ein Weiter-so. Außerdem ist unser Staatsverständnis grundverschieden. Wir wollen das Leben der Menschen einfacher machen und sie entlasten, statt sie zu bevormunden und zu gängeln. Herr Ramelow hat im Bundesrat das unmögliche Heizungsgesetz durchgewunken, das die Menschen belastet. Und im Land klagt er gegen die von uns durchgesetzte Steuersenkung, statt mit uns gemeinsam die Menschen zu entlasten.

Vogel: Die Linke befindet sich doch sowieso in Auflösung. Erst recht, da Sahra Wagenknecht mit ihrer Drohung einer Abspaltung jetzt offenbar ernst macht. Vielleicht wird sich die Linkspartei in Thüringen noch eine Weile über Wasser halten. Aber das wird an ihrem absehbaren Ende nichts ändern.

Man muss zum Thema Asyl neue Antworten finden. Am besten im Konsens mit einer breiten Mehrheit.

Bernhard Vogel

Ist die deutsche Einheit gelungen?

Vogel: Alles in allem ist uns die Wiedervereinigung gelungen. Wir haben gemeinsam etwas zuwege gebracht, was uns Deutschen keiner zugetraut hat. Sie ist uns gelungen, weil es in Ostdeutschland im November 1989 zu einer friedlichen Revolution kam, bei der kein Tropfen Blut floss. Und weil Helmut Kohl, George Bush senior und Michail Gorbatschow in einem Augenblick der Weltgeschichte diese Einheit herbeigeführt haben.

Voigt: Ich gehöre zu der glücklichen Generation, die die Wiedervereinigung noch als Kind erlebt hat. Ich war damals, 1990, 13 Jahre alt, das einzige Kind in der Klasse, das die Christenlehre besuchte. Mein Großvater ist in der DDR von den Kommunisten zwangsumgesiedelt worden. Er hat alles verloren. Ohne die friedliche Revolution, ohne die Entmachtung der SED hätte ich kein Abitur machen und nicht studieren können. Mein Leben wäre ganz anders verlaufen. Meine Generation kann über die friedliche Revolution und die deutsche Einheit besonders glücklich sein. Es gibt aber auch neue Fragen, die wir beantworten müssen: Wie sichern wir den kleinen Wohlstand, den sich die Menschen erarbeitet haben? Wie knüpfen wir wieder an das Gefühl des Aufbruchs von 1990 an, für eine starke Wirtschaft im Osten? Wird der Lebensleistung der Ostdeutschen genug Respekt entgegengebracht? Natürlich habe ich auch Verständnis, wenn nicht alle einfach nur glücklich sind.

Vogel: Es ist bedauerlich, wenn manche Ostdeutsche sich bis heute als Bürger zweiter Klasse fühlen. Es ist zwar in der Tat festzuhalten, dass es noch Unterschiede gibt: Die durchschnittliche Vermögenslage der Ostdeutschen wird noch lange Zeit schlechter sein als die der Westdeutschen. Es gibt in einigen Bereichen noch zu wenig Ostdeutsche in Führungspositionen. Und im Osten Deutschlands sind die Löhne immer noch etwas niedriger als im Westen – die Preise übrigens auch. Ich glaube aber nicht, dass das die entscheidenden Gründe sind, warum im Osten mehr AfD gewählt wird als im Westen.

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Bernhard Vogel und Mario Voigt im Wohnzimmer von Bernhard Vogels Haus in Speyer am Rhein - mit einem Fotoband über Helmut Kohl und die CDU

Ein Thema, an denen viele Bürger ob in Ost oder West ihre Wahlentscheidung tatsächlich festmachen, sind laut Umfrage die vielen Missstände im Bereich Asyl…

Voigt: Beim Asylrecht wurde nach 2015 bereits enorm nachgeschärft. Das hat ja zunächst auch gewirkt, die Zahl der Asylbewerber ging deutlich zurück. Das wurde inzwischen aber durch die Ampel leider wieder aufgeweicht. Das seit Ende 2022 geltende Chancenaufenthaltsgesetz der Ampel zum Beispiel bietet unter dem Motto „Spurwechsel“ vielen, die illegal ins Land gekommen sind und eigentlich abgeschoben werden müssten, die Möglichkeit, dauerhaft zu bleiben. Das ist doch eine Generaleinladung zur illegalen Einreise! Wer qualifiziert ist und legal zu uns kommt, um fleißig zu arbeiten, sich hier seinen Lebensunterhalt selbst verdient und ins Sozialsystem einzahlt, ist herzlich willkommen. Aber nicht die, die uns ausnutzen wollen und unsere Werte ablehnen. Deutschland kann nicht allein die Probleme der ganzen Welt lösen.

Vogel: Der frühere Bundespräsident Gauck hat das gut auf den Punkt gebracht: Wer Flüchtlinge pauschal abweist, hat kein Herz. Und wer Flüchtlinge unbegrenzt aufnimmt, hat keinen Verstand. Als der Asylparagraf ins Grundgesetz geschrieben wurde, wollte von den Deutschen niemand ein Stück Brot. Das ist heute ganz anders. Deshalb muss man zum Thema Asyl jetzt neue Antworten finden. Am besten im Konsens mit einer breiten, fraktionsübergreifenden Mehrheit. Klar ist auch: Einfache Antworten wird es nicht geben, es braucht eine differenzierte Lösung.

Voigt: Wir brauchen eine Wende in der Flüchtlingspolitik. Die Asylverfahren müssen außerhalb der Europäischen Union bearbeitet werden – nicht, wenn die Leute schon hier sind. Es kann auch nicht sein, dass der Staat mit Steuergeldern die vermeintlichen Seenotretter finanziert. Wir müssen auch die Sozialleistungen für Asylbewerber reduzieren und weitgehend auf Sachleistungen umstellen, um keine falschen Anreize zu setzen. Deutschland hat das liberalste Asylrecht, die höchsten Sozialstandards und gleichzeitig die geringste Rückführungsquote. Das alles zusammen kann auf Dauer nicht funktionieren.

Die Einheit hat bewiesen, wie viel Kraft in unserem Land steckt. Wir werden auch heute bestehen.

Mario Voigt

Was die Bürger verunsichert, ist, dass sich vieles so schnell verändert…

Vogel: Tempora mutantur, nos et mutamur in illis. Die Zeiten ändern sich und wir uns in ihnen. Es gibt tatsächlich eine Zeitenwende. Ich bin ganz froh, lieber Mario, die Entscheidungen darüber euch Jungen überlassen zu können. Ich kann euch aber versichern, dass es früher auch nicht immer einfach war. Du warst 13, als die Mauer fiel. Als ich 13 war, 1945, war Deutschland ein kriegszerstörtes Land, mit 11 Millionen Flüchtlingen und Zwangsausgesiedelten. Es herrschte Hunger und Not. Spätere Herausforderungen waren die Teilung Deutschlands und der Kalte Krieg. Und die deutsche Wiedervereinigung. Wir Deutsche in West und Ost haben uns diesen Herausforderungen gestellt und haben sie bestanden. Ich habe keinen Zweifel, dass auch die heutige Generation ebenso in der Lage ist, die jetzigen Schwierigkeiten zu meistern.

Voigt: Da bin ich auch optimistisch. Der Erfolg der deutschen Einheit hat bewiesen, wie viel Kraft in unserem Land steckt. Wir werden auch heute bestehen.