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© Petra Schneider-Schmelzer | SuperIllu
Engagement

Radio Ginseng sendet für Senioren

Deutschland braucht einen Radiosender für Senioren, dachte sich Ulrich Burow und gründete kurzerhand einen. Seit knapp einem Jahr sendet Radio Ginseng im Internet, ist auch per App verfügbar und bald rund um die Uhr zu hören.

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Christian Hermann sendet montags routiniert live. Der in der DDR ausgebildete DJ ist auch Musikexperte des Radiosenders.

Radio Ginseng-Erfinder Ulrich Burow wundert sich, warum er so oft gefragt wird, was Ruhestand für ihn bedeutet. „Viele verbinden damit offenbar das Klischee, dass man dann faul und geistig inaktiv wird“, sagt der 71-Jährige im Gespräch mit SuperIllu. Er hat da eine ganz andere Meinung: „Körper und Geist müssen sich nicht zur Ruhe legen, die sind bis zum Ende leistungsfähig, wenn man sie pflegt.“

Der Sender ist weit mehr als ein Hobby

Bevor Ulrich Burow das deutschlandweit erste Seniorenradio „Radio Ginseng“ erfunden hat, segelte er gern. Rund um das brandenburgische Grünheide, wo Burow seit 20 Jahren lebt und der Sender sein Zuhause hat, gibt es viele Seen. Inzwischen hat er sein Boot aber verkauft. Denn das seit 2017 von ihm geplante und im März 2021 gestartete nicht-kommerzielle Internetradio für Senioren ist nach Rundfunkmechaniker, Theaterwissenschaftler und Dozent nun Burows neuer Vollzeitjob. Er hat ihn im Alter von 70 Jahren angetreten.

Das richtige Team macht den Erfolg aus

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Ulrich Burow, Christian Herr- mann und Alice Mier suchen technikaffine Mitstreiter mit Lust auf ein intensives Hobby.

Anfangs hatte Burow wechselnde, inzwischen treue Mitstreiter an seiner Seite. Der harte Kern, gut 20 Männer und Frauen, die meisten über 60 Jahre, widmen dem Sender so viel Zeit, dass sich mitunter zu Hause wartende Partner und Familien schon beschweren. „Live auf Sendung“ geht meist Christian Herrmann, ein 63-jähriger, selbstständiger DJ, der noch mitten im Arbeitsleben steht. Andere Enthusiasten kümmern sich um die Gestaltung des Programms, um Beiträge, Technik, Fördermittelanträge und die Musik. Die mache den Unterschied für ältere Hörer, sagt Herrmann. „Jede Altersgruppe hat bestimmte Titel im Kopf.“ Ein Radio, das von Senioren für Senioren gemacht wird, spielt viele Lieder, die in großen Sendern keiner kennt. „Einer unserer Musikredakteure greift beim Planen der Musik auf ein Büchlein zurück, in das er als 14-Jähriger die Charts eingetragen hat“, so Burow. Bei Radio Ginseng sind Profis am Werk, auch wenn sie keine Profis sind.

Originelle Kategorien und gewonnene Preise

Eine von ihnen ist Alice Mier. Sie liest wöchentlich ein Buch und bespricht es fürs Radio. Das Sprechtempo zu halten, das Aufzeichnen und Schneiden der Beiträge musste sie erst lernen. Die 71-Jährige genießt es, sich einbringen zu können: „Ich probiere gern Dinge aus, brauche Herausforderungen. Immer nur Haushalt und Garten… Da kam der Kopf zu kurz“, sagt die ehemalige Schulleiterin: „Durch meine Arbeit beim Radio bringe ich neuen Gesprächsstoff mit nach Hause.“ Auch wenn sie den Aufwand unterschätzt hat, hält sie das nicht davon ab, mehr zu wollen. Mit ihrer Enkelin nahm sie ein Gespräch über Feminismus auf. Ein Thema, „in das ich mich erst einlesen musste.“ Mier ist auch Teil eines Teams, das zusammen mit einem Sender aus Baden-Württemberg an einer Serie rund um Ost-West- Biografien arbeitet. Um Gemeinsamkeiten und Unterschiede, um Verständnis, ums Zuhören und Ausredenlassen soll es gehen, erzählen Burow und Mier. „Mit den Geschichten möchten wir etwas zur inneren Einheit beitragen.“ Im Sommer 2021 gewann Radio Ginseng dafür einen vom Ost-Beauftragten der Bundesregierung ausgelobten Wettbewerb. 15000 Euro Preisgeld gab es für das sonst unterfinanzierte Radio. Burow hat viel eigenes Geld in das Studio gesteckt, das immerhin mietfrei in einem Haus der Gemeinde Grünheide untergebracht ist.

Radio: Ein Dienst für die Gesellschaft

Doch er träumt auch von einem zweiten Studio im Ortskern. Denn „wir müssen gesehen werden.“ Sein Vorbild, das englische „Angel Radio“, sendet seit 20 Jahren für alle sichtbar aus einem Ladengeschäft. „Radio Ginseng könnte zur Heimat für ältere Menschen werden, wo man sich angenommen fühlt.“ Radio sei das wichtigste Medium, es komme überall hin, sei leicht zu konsumieren. Gleichzeitig wünscht sich das Team regen Austausch mit seinen Hörern, um Ideen fürs Programm zu entwickeln. Ulrich Burow geht es um „mehr Engagement in der Zivilgesellschaft“. Und: „Wir suchen noch Mitstreiter.“