Große Nachfrage
Immer wieder bleiben Passanten vor dem Schaufenster stehen und schauen in den neuen Laden. Die 70-jährige Dresdnerin Angelika geht rein. „Wir öffnen erst um 11.30 Uhr“, erklärt ihr einer der Inhaber. „Dann komme ich noch mal“, verspricht die Rentnerin. „Ich möchte mal wissen, wie es schmeckt.” Als sie tatsächlich um halb zwölf wiederkommt, muss sie sich in eine lange Schlange einreihen.
Der Andrang ist ungebrochen, seit Stephan Meyer-Götz, 40, Andreas Henning, 32, Nils Steiger, 27, und Daniel Quis, 40, im Januar in der Dresdner Neustadt ihre vegane Fleischerei eröffnet haben. „Die Leute standen anfangs eine dreiviertel Stunde in der Schlange“, sagt Stephan Meyer-Götz. „Nach drei Tagen waren wir ausverkauft. Jetzt haben wir die Produktion der Nachfrage angepasst.”
Leberkäse-Brötchen ist Bestseller
Zu kaufen gibt es Gulasch, Sauerbraten, Soljanka, Frikassee, diverse Wurst- und Käsesorten, Fleisch- und Heringssalat sowie Schnitzel-Brötchen. Der Bestseller: ein Leberkäse-Brötchen aus Erbsenprotein. 70 Prozent der Produkte werden täglich frisch in Andreas Hennings Küche seines veganen Restaurants „Steffenhagen” um die Ecke hergestellt. Der Rest, v.a. der vegane Käse, wird geliefert. Ein Angebot, das es so in keinem Supermarkt gibt. Und das für die 1,58 Millionen Veganer in Deutschland, Tendenz steigend, eine Marktlücke zu sein scheint.
„Die Leute kommen von überall”, sagt Meyer-Götz. „Aus Chemnitz, Leipzig, Bautzen, aus dem Erzgebirge, aus Nürnberg.” Susanna, 70, und Michael Vetter, 72, seit zwanzig Jahren vegan, sind aus dem brandenburgischen Senftenberg angereist. In der veganen Fleischerei kaufen sie für über 70 Euro ein. Aber es sind nicht nur überzeugte Veganer, die den Laden betreten. Es sind Vegetarier, die zwar kein Fleisch, aber noch tierische Produkte wie Milch, Eier oder Honig essen. Es sind Fleischesser wie die 70-jährige Angelika, die vegan einfach mal probieren wollen. Oder Sven Mann, 34, Betriebsleiter beim Dresdner „Feldschlösschen Stammhaus“. Er kauft drei vegane Frikadellen „zur Probe“, wie er sagt.
Immer öfter würden Gäste nach einer veganen Alternative fragen. Wenn die Frikadellen munden, will er sie im Brauhaus anbieten. „Wir richten uns nicht nur an Veganer“, erklärt Meyer-Götz. „Unser Ziel ist es, Vegan-Interessierte ins Boot zu holen. Eine Alternative aufzeigen. Ich selbst esse übrigens auch nicht zu 100 Prozent vegan.”
Viel Kritik am Konzept
Doch nicht allen gefällt das Geschäftskonzept. Aus dem Netz schlug den Gründern viel Kritik entgegen, es gab sogar Morddrohungen. „Wir sind keine Weltverbesserer“, sagt Meyer-Götz dazu. „Wir wollen niemanden belehren oder ihm verbieten, Fleisch zu essen. Wir wollen nur sagen: ‚Schaut mal, das ist auch leckeres Essen, und denkt an das Tierwohl!‘
Viel Wirbel machte die Lebensmittelüberwachung, die die Benennung einiger Produkte bemängelte, weil es irritieren könnte, wenn Veganes sich z.B. ‚Salami‘ nennt. „Seitdem muss unser Feta ‚Geta‘ heißen und unsere Sülze ‚Gesülze‘“, erklärt Meyer-Götz. „Wir hängen uns nicht an Begrifflichkeiten auf. Ansonsten hatten sie hier nichts zu beanstanden.”
Ihre Produkte sind bewusst beliebten Küchenklassikern nachempfunden. „Weil wir alle den Geschmack von z.B. Gulasch lieben, das sind ja auch Kindheitserinnerungen.“ Dieser käme aber hauptsächlich von den Gewürzen; auch die Konsistenz spiele eine wichtige Rolle. Beides nachzuahmen sei für einen guten veganen Koch nicht schwer. „Viele sagen verdutzt, ‚Mensch, das schmeckt ja!‘ - das ist für mich das größte Kompliment“, so Meyer-Götz. Oder wenn, wie neulich, die 90-jährige Oma seiner Frau den veganen Heringssalat probiert und sagt: „Das schmeckt ja wie Fisch.”