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Stephanie Rudolph

Ihr Weg zurück ins Leben

Stephanie aus Dresden hat ein schweres Schicksal zu verarbeiten. Im Februar 2006 wurde das Mädchen aus wochenlanger Gefangenschaft bei einem Sextäter befreit. Ein Jahr danach sprach SUPERillu mit Stephanie und ihren Eltern

Palmen, Strand, tropische Wärme. Die Karibikinsel Curaçao vor der Küste Venezuelas ist ein kleines Paradies für ein Mädchen, das durch die Hölle gegangen ist. Am 15. Februar 2006 ist die damals 13-jährige Stephanie nach fünf Wochen Geiselhaft aus der Wohnung eines Triebtäters in Dresden befreit worden. Die Tat, die Umstände des Prozesses gegen den Sexgangster bewegen bis heute unser Land. Wie kann Stephanie es lernen, diese traumatischen Ereignisse zu verarbeiten? Ein Weg, der ihr von den Therapeuten empfohlen wurde, ist der Umgang mit Delfinen nahe ihrer natürlichen Umgebung. Zusammen mit ihren Eltern machte sie jetzt über den Jahrestag ihrer Befreiung einen zweiwöchigen Urlaub auf der Insel Curaçao in der Karibik. Die SUPERillu-Reporter Mirco Robus und Michael Handelmann konnten sie besuchen und mit ihr und den Eltern sprechen. Es ist Stephanies erstes Interview, das sie selbst gibt. Das Reden über ihr Schicksal und die Fotos sollen ihr helfen, die Geschehnisse zu verarbeiten und zugleich neues Selbstvertrauen zu gewinnen. Die SUPERillu-Reporter erleben ein Mädchen, das trotz dieser fröhlichen Fotos auf sie noch immer einen in sich gekehrten, schüchternen Eindruck macht.

Stephanie, wie geht es dir heute?

Stephanie: Ganz gut. Für mich haben ja die Winterferien schon acht Tage früher begonnen. Für die Delfin-Therapie, die ich hier auf Curaçao mache, habe ich extra frei bekommen. Das ist toll. Die Delfine, die Entspannung, die tropischen Temperaturen. Kein Schnee, keine Kälte, das ist wunderschön.

Frau Rudolph, Herr Rudolph, wie gefällt es Ihnen hier?

Ines Rudolph: Stephanie lacht wieder, die Delfin-Therapie tut ihr sehr gut. Wir sehen sie so glücklich. Wir sehen, wie unsere Tochter lächelt. Das tut natürlich auch uns als Eltern gut. Auch für uns war diese schreckliche Tat ein Trauma, das wir überwinden müssen. Da hilft eine solche Möglichkeit, die wir hier in der Karibik haben, sehr.  

Joachim Rudolph: Zu Hause in Dresden war es schwer, zur Ruhe zu kommen. Vor allem jetzt, als die kalte Jahreszeit kam und damit auch der Jahrestag der Entführung. Da kamen natürlich die Erinnerungen an diese schrecklichen Wochen wieder besonders stark zurück. Deshalb wirkt schon allein der Sonnenschein hier am Strand, wo wir ganz andere Eindrücke haben als zu Hause, kleine Wunder.

Stephanie, hast du gar keine Angst im Wasser mit den Delfinen?

Stephanie: Im letzten Frühjahr, als ich bei meiner ersten Delfin-Therapie in Florida mit den Tieren in Kontakt kam, hatte ich schon ein wenig Angst. Aber ich habe mich schnell daran gewöhnt. Jetzt ist es einfach nur noch phantastisch.

Was machst du denn mit den Delfinen?

Stephanie: Alles Mögliche. Schwimmen, küssen, mit dem Ball spielen und Zeichen geben, damit sie über einen Stab springen, den ich halte.

Ines Rudolph: Stephanie soll zum Beispiel ihrem Delfin Papito Kommandos geben, indem sie kontrolliert mit der Hand vorsichtig auf die Wasseroberfläche klatscht. Stephanie macht also aktiv und effektiv etwas. Das Ergebnis ist dann, dass der Delfin die Schwanzflosse hebt und auch auf das Wasser klatscht. Durch diesen Umgang mit den Delfinen lernt unsere Steffi unter anderem wieder, die Regie zu übernehmen. Außerdem ist das Training mit den Delfinen sehr körperbezogen. Es ist sehr wichtig für Steffi, weiter ein positives Grundgefühl zu ihrem Körper zu spüren, denn sehr viele Vergewaltigungsopfer stoßen ihren Körper ab, fangen an, ihn zu ritzen oder ähnliches. So etwas haben wir bisher verhindern können.

Stephanie: Wenn ich zu dolle klatsche, spritzt mich der Delfin nass. Da muss man schon aufpassen. Aber es macht Spaß. Außerdem habe ich hier auch noch gute Gespräche mit meiner Therapeutin Stefanie von Fallois von Dolphin-Aid und viel Freizeit. Zeit, um die Seele baumeln zu lassen. Ich lese, höre Musik oder gehe schwimmen. Abends sitzen wir alle zusammen und genießen die tolle Stimmung hier.

Beschäftigen dich die Erinnerungen an die schreckliche Zeit deiner Entführung?

Stephanie: Manchmal kommt es schon vor, dass etwas wieder hochkommt. Aber Albträume habe ich nur noch ganz selten. Ich konzentriere mich auf meine Zukunft.

Am 15. Februar ist es ein Jahr her, dass Stephanie befreit wurde. Wie begeht die Familie diesen Jahrestag?

Stephanie: Das ist ein besonderer Tag für mich.

Ines Rudolph: Am Vormittag ist die Delfin-Therapie, am Nachmittag wollen wir etwas Besonderes unternehmen. Obwohl es eigentlich auch so schon etwas Besonderes ist, dass wir hier auf Curaçao sein dürfen. Dafür sind wir besonders unserem Rechtsbeistand Thomas Kämmer dankbar. Hätte er sich nicht im letzten September an die Organisation Power-Child gewandt und um Spenden für Therapien gebeten, wären wir nicht hier.

Stephanie, wie hast du denn den ersten Jahrestag der Entführung überstanden, den 11. Januar?

Stephanie: Ich habe mich an diesem Tag nicht wirklich daran erinnert, dass das genau ein Jahr her war. Denn die Situation war anders. Es lag kein Schnee wie im vergangenen Jahr. Und ich hatte zufällig auch noch schulfrei. Ich musste also nicht den Schulweg gehen. Wir haben den Tag mit meiner anderen Psychologin Dr. Angelika Schrodt verbracht.

Trotz des Horrors mussten Sie als Eltern irgendwann wieder Ihrer Arbeit nachgehen. Ist der Alltag schon wieder zurück?

Ines Rudolph: Bei mir ja. Meinen Beruf als Lehrerin kann ich wieder geregelt ausüben. Ich habe von meinen Kolleginnen und Kollegen sehr viel Unterstützung erfahren. Gerade auch während der Zeit des Prozesses. Dafür bin ich allen sehr dankbar. Sie haben auch dafür gesorgt, dass ich jetzt bei der Delfin-Therapie dabei sein kann. 

Joachim Rudolph: Unsere kleine Pension mit vier Zimmern werde ich Ende Februar wieder eröffnen. Die Zeit im Januar habe ich für kleinere Renovierungen genutzt. Man gewöhnt sich daran, sich wieder mit alltäglichen Dingen zu beschäftigen.  

Sie verlangen vom Freistaat Sachsen, dessen Beamte in dem Fall große Fehler machten, eine finanzielle Beteiligung an den Therapiekosten und anderes. Sind Sie sich schon einig geworden?

Joachim Rudolph: Nein. Da verhandeln unsere Rechtsbeistände Ulrich von Jeinsen und Thomas Kämmer immer noch. Wir haben noch kein Geld gesehen. Wir sind sehr wütend darüber, dass erneut vertrauliche Details aus den Verhandlungen an die Öffentlichkeit gelangt sind. Es ist offensichtlich, dass hier jemand kein wirkliches Interesse an einer außergerichtlichen Einigung hat, ansonsten würde man anders mit uns umgehen. Jetzt sollen wir psychologische Befundberichte über Steffi übersenden, wir fürchten, dass von denen auch etwas öffentlich gemacht wird. Wir setzen auch deshalb weiter auf Spenden. Ohne die vielen Gelder von Privatleuten und die Unterstützung von verschiedenen Hilfsorganisationen wie Dolphin-Aid, Power-Child und Hänsel & Gretel wären wir verloren. Wir möchten uns auch auf diesem Weg dafür bei allen herzlich bedanken, auch bei den Lesern von SUPERillu, die etwas gespendet haben.

Stephanie, gehst du denn schon wieder alleine zur Schule?

Stephanie: Jetzt in den Wintermonaten ist es morgens noch recht dunkel. Da werde ich noch gebracht. Aber bald, wenn es wieder einigermaßen hell ist, will ich morgens wieder mit dem Fahrrad fahren.

Nimmst du denselben Schulweg wie damals, als du dabei entführt wurdest?

Stephanie: Ja, ich gehe denselben Weg. Das ist die kürzeste Strecke zur Schule. Ich versuche auch sonst alles so normal zu machen wie früher.

Frau Rudolph, hat Ihre Tochter mittlerweile die Kraft, Ihnen mehr über die schlimmen fünf Wochen der Entführung zu erzählen?

Ines Rudolph: Sie hätte schon die Kraft. Aber sie möchte es nicht. Wir haben ihr angeboten, wenn Sie insbesondere mit mir als Mutter darüber sprechen möchte, dann stehe ich immer zur Verfügung. Aber wir fragen nicht weiter.

Der Täter bekam 15 Jahre Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung. Reicht das?

Stephanie: Ja, er hat eine gerechte Strafe bekommen. Es gibt rechtlich keine höhere Strafe für so eine Tat. Ich bin froh, dass er die höchstmögliche Strafe bekommen hat.

Sein Anwalt erwägt, das Urteil anzufechten...

Joachim Rudolph: Ich hoffe, dass er damit nicht durchkommt. Was soll an der Sache auch anders entschieden werden? Die Richter sehen hoffentlich klar, dass es hier vor allem um eins geht: um den lebenslangen Schutz des Opfers.

Sie hatten im Vorfeld des Urteils angekündigt auszuwandern, wenn der Täter nicht für immer hinter Gittern landet.

Joachim Rudolph: Wenn das Urteil in der zweiten Instanz nicht im Wesentlichen bestätigt wird und von ihm wieder Gefahr drohen würde, dann müssten wir auswandern. Aber wir sind alle in Dresden geboren, wir lieben unsere Heimatstadt und fühlen uns in Sachsen wohl. Wir hoffen sehr, dass wir bleiben können.

War diese schreckliche Zeit nicht auch eine große Belastungsprobe für Ihre Ehe?

Ines Rudolph: Wir haben gemerkt, wie wichtig Familie ist. Mein Mann und ich sind dadurch noch enger zusammengekommen.

Stephanie, hast du schon Pläne für deine Zukunft?

Stephanie: Ich träume von einer Weltreise. Aber das hat Zeit. Vielleicht will ich später mal Delfintrainerin werden. Ich lerne hier so viel über die Tiere und wie sie den Menschen helfen können. Ich denke, das letzte Jahr hat mein Leben sehr verändert. Ich bin zielbewusster, was die Zukunft betrifft. Ich weiß halt jetzt, dass wir nur ein Leben haben, das wir nutzen und nicht vergeuden sollten. Daran versuche ich immer zu denken.