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Kurt Masur

„Warum ich meine Frau so liebe“

Er begeistert in Leipzig, er fesselt New York: Offen wie noch nie spricht der große Dirigent aus Sachsen über seine Leben, Musik und Ehe mit der Japanerin Tomoko

Leipzig, mitten in einem Altbaugebiet von Leutzsch. Die Masurs wohnen unauffällig, hinter einem verfallenden Wohnhaus aus der Nachkriegszeit, das schon seit Jahren leer steht. Ein Gartentor, hinter den Sträuchern ein flaches Haus, nicht unterkellert. Der Garten weitläufig, urig, schöne alte Bäume, ein mit Feldsteinen gerahmter Teich, kleine Wasserläufe, Bänke und Tische aus behauenen Baumstämmen, Brunnen, hölzerne Gartenplastiken. Kurt und Tomoko Masur empfangen uns warmherzig, führen uns durch das geschmackvoll eingerichtete Haus.

Ein Spinett fällt auf, kunstvoller Nachbau eines Originals aus dem 17. Jahrhundert durch die DDR-Firma Ammer. Schwere sorbische Schnitzmöbel und als Kontrast ein japanischer Raum der Meditation. An den Wänden Bilder und Grafiken von Leipziger Künstlern, auch ein Mendelssohn-Porträt von Armin Mueller-Stahl und ein Bildnis von Tomoko Masur, gemalt von Frank Ruddigkeit.

Am Vorabend hatte Kurt Masur uns - Jochen Wolff und Alfred Wagner von der SUPERillu - ins Gewandhaus eingeladen. Er dirigierte das Konzert für Violine und Orchester e-Moll op. 64 von Felix Mendelssohn Bartholdy. Solistin war die geniale Geigenvirtuosin Anne-Sophie Mutter. Anschließend dirigierte Masur Bruckners Sinfonie Nr. 3 d-Moll. Es gab stehende Ovationen, die Anlass für die erste Interviewfrage sind:

Herr Masur, was haben Sie gestern empfunden, als das Publikum gar nicht mehr aufhören wollte zu applaudieren?

Das ist es nicht. Wissen Sie, worauf ich gestern stolz war? Dass am Schluss der Applaus nicht gleich losging. Dass die Leute noch so gebannt waren, dass sie nicht gleich wie beim Fußball „Tor“ geschrien haben. Dass irgendwas blieb und sie einen Moment überlegen mussten: Was ist jetzt geschehen? Diese Applaus-Geschichte ... Ich denke da immer an die Moderatoren, die mit ihren Sendungen nach Einschaltquoten beurteilt werden.

Gehört das Konzert mit Anne-Sophie Mutter von gestern zu den ganz besonderen Momenten Ihrer Laufbahn?

Konzerte mit ihr sind immer etwas Besonderes. Sie ist vom Wunderkind zu einer großen Interpretin herangewachsen. Jede Begegnung mit ihr ist kostbar, weil es da wirklich um ein gemeinsames Musizieren geht, wo die kleinsten Fasern wach sein müssen.

Gibt es in der Fülle Ihrer künstlerischen Erlebnisse etwas, was Sie noch hervorheben würden?

Das vielleicht einschneidendste Erlebnis war das Konzert nach dem Terrorangriff vom 11. September 2001 in New York. Wir haben das Brahms-Requiem aufgeführt und darum gebeten, dass am Schluss nicht applaudiert wird. Es war eine Stille, die ich nie vergessen werde. Ein Kritiker schrieb: Wir haben Masur manchmal belächelt, wenn er sagte, dass Musik heilen kann. An diesem Abend hat keiner mehr gelächelt.

Versuchen Sie immer so zu spielen, wie es der Komponist gemeint hat, oder sagen Sie: Ich interpretiere es, wie ich es empfinde?

Wie ich es empfinde, das ist dann schon wieder selbstherrlich. Solche Dirigenten sind für mich - na, sagen wir mal - nicht so ganz seriös, sie wollen sich nur selbst darstellen. Das ist für mich nicht der Weg, den ich gehe. Ich fühle mich als Diener am Werk. Aber ich überlege nicht, mich zurückzuschrauben in jene Zeit, in der das entstanden ist, sondern ich bin ein moderner Mensch, ich bin ein lebendiger Mensch.

Und ich empfinde das als furios, was ich heute als furios empfinde. Schauen Sie: In der damaligen Zeit werden einige der Harmonien, die Beethoven geschrieben hat, die Menschen erschreckt haben. Das geschieht heute einfach nicht mehr. Das sind Gewohnheitsdinge. Aber, und jetzt sage ich aber: Ich versuche das Orchester immer wieder zu überzeugen, dass der Überraschungseffekt bei Beethoven bleiben muss.

Wann sind Sie ein glücklicher Dirigent?

Na, ich war gestern Abend zum Beispiel ein glücklicher Dirigent. Ich bin ein glücklicher Dirigent, wenn die Verbindung zum Orchester ganz eng ist. Wenn das Orchester selbst die kleinste Regung spürt. Und wenn es genau merkt, dass ich jeden Abend ein bisschen anders atme an dieser Stelle, und diese Regungen nachvollziehen kann. Und wenn man solche Solisten hat, deren Ausstrahlung so stark ist, dass man sich vereinen kann oder auch gewillt ist zu folgen, weil es einfach überzeugend ist, was sie tun, dann sind das die glücklichen Momente in meinem Leben als Dirigent.

Warum sind Sie und Ihre Frau, die ja auch Musikerin ist, Mendelssohn so besonders verbunden?

Er wird oft unterschätzt. Für uns ist es wichtig, begreiflich zu machen, dass Mendelssohn ein Genie war, wie es wenige gegeben hat. Und seine Konzeption des Musiklebens in Leipzig - wir haben ja beide am von ihm gegründeten Konservatorium studiert, meine Frau ein bisschen später natürlich.

Frau Masur (lachend): Außerdem, ich bin Absolventin, er hat keinen Abschluss gemacht ...

Kurt Masur (schmunzelnd): Das muss ich erklären! Ich habe während des Studiums nachts Tanzmusik machen müssen, einfach, damit wir genügend zu essen hatten, und dann kam ich früh oftmals zum Unterricht und war müde und kaputt. Eines Tages merkte ich, wie die Herzschmerzen begannen, das war enormer Stress. Und dann kam ein Angebot aus Halle. Statt weiter zu studieren, habe ich dort als Korrepetitor angefangen (studiert am Klavier mit Sängern oder Instrumentalsolisten Solopartien ein).

Ist Ihre Frau eigentlich bei jedem Konzert dabei?

Ja, fast immer. Wenn der Applaus mal nicht so stark ist, sage ich: Tomoko ist nicht da!