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Die Unvergessenen

Eberhard Cohrs: Warum schoss er auf seine Frau?

Warum schoss er? „Der Kleene mit der großen Gusche“ hat die Menschen doch eigentlich jahrelang zum Lachen gebracht. Doch am Ende seines Lebens tat er etwas Unfassbares. Jetzt, fast 12 Jahre danach, versucht seine Witwe Licht ins Dunkel zu bringen.

Es gibt keinen Grabstein für Eberhard Cohrs, nicht einmal ein Grab. Nur ein Blatt Papier, die Kopie aus dem Schiffstagebuch der MS Nordica. „Am 21. September 1999 wurde Eberhard Cohrs um 15.01 Uhr mit Seemannswürde beigesetzt.“ Dazu die Koordinaten, wo die Urne in die Ostsee versenkt wurde: 54 Grad Nord, 10 Grad Ost.

Sein letzter Wille

„Er hatte sich eine Seebestattung gewünscht“, sagt seine Witwe Dagmar Cohrs. „Er wollte im Meer wieder mit unserem Sohn Christopher vereint sein, der mit 26 Jahren 1998 bei einem Urlaub in Thailand am Dengue-Fieber starb. Er war begeisterter Taucher und hatte immer gesagt, dass er im Meer seine letzte Ruhe finden wolle.“

Ein Foto des Sohns steht auf einem Schränkchen in ihrer Wohnung in Bad Bramstedt, aber nirgends ist ein Bild von Eberhard Cohrs zu sehen. „Warum auch?“, sagt die Frau, die 28 Jahre mit dem beliebtesten Komiker der DDR verheiratet war. „Er wollte mich ja umbringen.“

Das Drama

Und dann schlägt sie das Buch auf, das sie über ihr gemeinsames Leben geschrieben hat und liest vor, was damals, am 19. Juli 1999, geschehen ist: „Morgens versorge ich zusammen mit der Krankenschwester meinen Mann, beziehe das Bett frisch, lege einen sauberen Schlafanzug hin und bereite das Frühstück vor. „Bring mir noch eine kalte Cola“, bittet er. Mit der Cola und einem Glas betrete ich das Schlafzimmer. Mein Mann blinzelt mich aus halbgeschlossenen Augen an. Die Bettdecke hat er bis zum Hals hochgezogen. „Spatze“, sage ich. „Schläfst du? Hier ist etwas zu trinken.“ In diesem Moment reißt er unter der Bettdecke mit der rechten Hand eine Pistole hervor und schießt … Was dann geschieht, entzieht sich teilweise meiner Erinnerung.

Was ich aber realisiere: Ich sehe sein vor Anstrengung verzerrtes Gesicht. Er schießt und schießt. Durch mein T-Shirt und die Shorts läuft Blut.“ Nachbarn hören ihre Hilfeschreie. Ein Rettungswagen kommt, mit dem Hubschrauber wird die Schwerverletzte nach Berlin in die Charité geflogen und operiert. Die Diagnose: ein Brustdurchschuss, ein Unterarmsteckschuss, ein Steckschuss in der Lunge, ein Leberdurchschuss. „Mein Mann hatte mindestens sieben Schüsse auf mich abgegeben“, sagt sie. Aber warum? Sie hat bis heute keine Erklärung dafür. Eberhard Cohrs kann auf diese Frage auch keine Antwort geben, als SUPERillu-Chefredakteur Jochen Wolff ihn Anfang August 1999 in seinem Haus am Scharmützelsee bei Berlin besucht und wissen will, weshalb er auf seine Frau geschossen hat. Cohrs ist todkrank, Prostata- und Darmkrebs im Endstadium, er wiegt nur noch 36 Kilo.

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Hier fielen die Schüsse: Das Haus von Eberhard Cohrs am Scharmützelsee bei Berlin.

Das Problem mit dem Morphium

„Da weeß ich gar nichts. Ich weeß nur, dass ich den ganzen Tag Probleme mit dem Morphium hatte. Ich stand irgendwie neben mir. Es ist, als hätte jemand das alles in einen Traum hineingebastelt“, erklärt er. „Ich habe Geräusche gehört. Ich habe etwas gesehen. Bumm, bumm - ich habe geschossen.“ Wie ist er denn überhaupt an die Waffe gekommen? „Ich war doch beim Barras“, antwortet er. „Seit damals habe ich die immer mit mir rumgeschleppt. Hier draußen wohnt man doch im Winter ganz allein. Die Pistole war mein Schutz.“

Doch genau an diesem Punkt hakt Dagmar Cohrs heute, fast 12 Jahre später ein. „Die Wahrheit über die Pistole ist: 1996 feierten mein Mann, unser Sohn und ich Weihnachten am Scharmützelsee. Christopher erzählte mir, dass sein Vater ihn gebeten hätte, ihm eine Waffe zu besorgen. Er hätte Angst, wenn er nach Auftritten spätnachts nach Hause käme. Christopher hat dann tatsächlich eine aufgetrieben.“

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Eberhard Cohrs mit Frau und Sohn Christopher 1995

Der Neue in Dagmar Cohrs Leben

Diese Pistole soll wenige Wochen, bevor Eberhard Cohrs auf seine Frau schießt, eine besondere Bedeutung bekommen, vielleicht sogar der Schlüssel für die Tat sein. Dazu muss man die Vorgeschichte kennen: Bei einem Grillabend Anfang Sommer 1999 ist auch Jochen Hasselmann im Haus am Scharmützelsee zu Gast. Der ehemalige Oberstabsfeldwebel ist der Freund von Dagmar Cohrs. Ihr Mann weiß von dieser Beziehung und begrüßt sie sogar. „Nach einer Prostata-Operation vor 20 Jahren konnte ich meiner Frau als Mann nichts mehr geben. Aber wir haben immer mit Anstand zusammengelebt“, sagt Cohrs im Interview 1999 mit SUPERillu-Chefredakteur Jochen Wolff.

Das Ehepaar wohnt jedoch getrennt: Er im Haus am Scharmützelsee, das nach seiner Republikflucht beschlagnahmt war und das er nach der Wende zurückbekommen hat. Sie ist in Bad Bramstedt (Schleswig-Holstein) geblieben. Hier hatte die Familie ein Haus bezogen. weil Eberhard Cohrs im nahen Hamburg neue Erfolge am Theater feiern konnte. Seine Frau, der 1978 die Ausreise aus der DDR erlaubt worden war, arbeitet heute in der Stadt als Ballett-Lehrerin. Hier lernt sie auch Jochen Hasselmann kennen und lieben, rast aber jedes Mal mit dem Auto los, wenn ihr Mann sie anruft und bittet: „Matze, mir geht’s nicht gut. Ich habe so Appetit auf deine Suppe!“ Er wird immer kränker, muss mehrmals operiert werden.

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4. August 1999: SUPERillu-Chefredakteur Jochen Wolff besucht den Todkranken. 13 Tage später, am 17. August 1999, stirbt Eberhard Cohrs

Rache oder Eifersucht?

Eberhard Cohrs lernt den Neuen seiner Frau kennen, als er am Himmelfahrtstag 1998 wieder einmal im Krankenhaus liegt und Dagmar Cohrs ihm die Nachricht überbringen muss, dass ihr Sohn im Thailand gestorben ist. „Mein Gott, jetzt bist du mit allem ganz allein und ich kann dir nicht helfen. Ich hatte immer ein schlechtes Gewissen, dass ich dich mit allen Problemen allein gelassen habe“, sagt Cohrs. Doch da schüttelt sie den Kopf: „Ich habe jemand an meiner Seite, und ich habe ihn auch mitgebracht“, sagt sie. Ein Händedruck. „Du bist in Ordnung“, sagt Cohrs, und seitdem sind die beiden Männer Freunde.

Jetzt an diesem Grillabend 1999 hat Eberhard Cohrs eine besondere Frage: „Ich habe da eine Wumme“, sagt er. „Du hast doch Ahnung davon. Guck doch mal, ob die noch richtig funktioniert.“ Jochen Hasselmann schaut sich die Pistole an. „Die erfüllt im Notfall ihren Zweck“, erklärt er. „Die schießt Löcher.“ Dagmar Cohrs sitzt mit am Tisch und lacht. Erst viel später erinnert sie sich an die Worte, die Eberhard Cohrs damals fast unhörbar vor sich hin spricht, ohne jemanden anzusehen: „Einen Cohrs verlässt man nicht …“ Hat er sie erschießen wollen? Aus Eifersucht, aus Rache? Aber sie will nicht mehr darüber nachdenken. Nach allem, was sie durchgemacht hat, genießt sie ihr Leben im ruhigen Bad Bramstedt. „Ich war mit einem Mann verheiratet, der schon zu Lebzeiten eine Legende war“, sagt sie. „Das alles so enden musste, ist tragisch.“ Dann geht ein Lächeln über ihr Gesicht. „Aber das ist Vergangenheit. Ein neues Glück im Alter zu finden, das ist ein wahres Geschenk.“